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Kultur: Die Liebe zur Lamelle

Neues Bauen in Berlin: Der Architekt Thomas Hillig veredelt mit Erweiterungsbauten am Lupsteiner Weg die „Bronx von Zehlendorf“

Der Südosten Zehlendorfs gehört nicht gerade zu den vornehmsten Adressen des Berliner Nobelbezirks. Statt Dahlemer Edelvillen finden sich hier Wohnhauszeilen aus der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945, wie sie auch für andere Teile der Stadt typisch sind. Und auch die Einkommensverhältnisse der Bewohner bewegen sich deutlich unterhalb des Dahlemer Niveaus. Die Zahl der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger ist weit höher als im übrigen Bezirk. Solch Sozialgefälle führt auch gelegentlich zu despektierlichen Äußerungen, bei der Gegend rund um Ladiusplatz und Lupsteiner Weg handele es sich um die „Bronx von Zehlendorf“.

Dabei bietet das weitläufige Areal links und rechts des Lupsteiner Wegs ein angenehm aufgelockertes und durchgrüntes Wohnumfeld, das die Handschrift der Nachkriegsmoderne trägt. Es schließt unmittelbar an die denkmalgeschützte Telefunken-Siedlung an, die noch 1940/42, also während des Zweiten Weltkriegs entstand. Der 1958 von der GEHAG errichtete Bauabschnitt von Zehlendorf-Süd wurde 1999 vom Bau-Verein zu Hamburg erworben und grundlegend modernisiert. Und wie so häufig, ging der Eigentümerwechsel mit einer Aufstockung der 23 Zeilenbauten einher. Der Architekt Thomas Hillig versah die unterschiedlich hohen Wohnbauten dabei mit einer unaufgeregten Dachkonstruktion aus zwei gegenständigen Pultdächern. Die neuen Dachgeschosse wurden nicht verputzt, wie die übrigen Baukörper, sondern erhielten eine Verkleidung mit Faserzementplatten. Durch den Materialwechsel soll ihr Neubaucharakter unterstrichen werden. Insoweit unterscheiden sich die freundlichen Dachaufstockungen nicht von vergleichbaren Projekten im Stadtbild. Wirklich spannend wird der Besuch im Lupsteiner Weg erst durch die punktuelle Verdichtung der Siedlung. Hilligs Konzept sieht die Errichtung von insgesamt vier Erweiterungsbauten vor, die jeweils an die Wohnzeilen anschließen sollen. Der erste Bauteil ist inzwischen fertiggestellt, für einen weiteren wurde die Baugrube ausgehoben. Die beiden anderen Neubauten sollen folgen, sobald sich auf dem Berliner Wohnungsmarkt wieder Nachfrage regen sollte.

Allein schon durch seine kräftige Farbigkeit hebt sich Hilligs viergeschossiger Neubau vom Bestand ab: Der Corpus des Mauerwerkbaus ist mit einem dunklen orangeroten Putz überzogen. Mit der Verwendung Keimscher Mineralfarben weiß sich Hillig zudem in guter Siedlungsbautradition: Die gleichen Farben hatte bereits Bruno Taut in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts für die Farbgestaltung seiner legendären Onkel-Tom-Siedlung in Zehlendorf verwendet. Und an der Straßenfassade sorgen gelbe, goldene und helle orangefarbene Putzfelder zwischen den Fenstern zusammen mit dem verschiebbaren Sonnenschutz aus Holz für zusätzliche Farbakzente. An der Südseite des Gebäudes wird der Sonnenschutz aus Paneelen mit Lärchenholzlamellen zum eigentlichen Thema der Fassade gemacht – ganz ähnlich wie dies die österreichischen Architekturstars der neunziger Jahre, Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle, an ihren Bauten bereits vorexerziert haben: je nach Wunsch kann so eine eher offene oder geschlossene Fassadenstruktur erzeugt werden. Für Berlin besitzt solche Architektur noch allemal Neuerungscharakter und so wird der schöne Sichtschutz zum Blickfang. Dahinter schließen sich die großzügigen Balkone an, die sich über die gesamte Gebäudebreite erstrecken. Und auch die familientauglichen Wohnungen überzeugen, zu deren gehobener Ausstattung Parkett und Kamin zählen.

Eine schmale Glasfuge, die hinter die Bauflucht des Altbaus zurückgezogen wurde, dient als lichtes Treppenhaus und unterstreicht zugleich die Eigenständigkeit des neuen Baukörpers. Dessen Flachdach ist ebenso begrünt wie das des schlichten Car-Ports mit seinen Stützen aus doppelten T-Trägern, dessen Seiten – wiederum – mit Holzlamellen verkleidet sind.

Obwohl sich der Neubau deutlich vom Altbaubestand abhebt und die luftige Siedlungsstruktur der Zeilenbauten durch ihn punktuell verdichtet wird, bleibt deren offener Charakter gewahrt. So erhält der Südosten Zehlendorfs eine architektonische Aufwertung, die seinem Ruf nur zuträglich sein kann.

Jürgen Tietz

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