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Kultur: Die nächste Generation

Wieder präsentiert sich ein tolles Jugendorchester aus Venezuela in Berlin

Gustavo Dudamel und das Simón Bolívar Jugendorchester haben „El Sistema“ in der Welt bekannt gemacht, jenes unglaubliche Erziehungsprogramm, das allen Kindern Venezuelas kostenlosen Musikunterricht anbietet. Wenn am heutigen Montag die Sinfónica Juvenil Teresa Carreño in der Philharmonie gastiert, präsentiert sich bereits die zweite Generation hochtalentierter venezolanischer Musiker: 14 bis 20 Jahre alt sind die Mitglieder des Orchesters, das seine erste Tour durch Europa absolviert. Am Pult steht der 26-jährige Christian Vásquez. Mit keinem geringeren Werk als Beethovens Fünfter will er beweisen, dass der Wunderknabe Dudamel kein Einzelfall ist.

Simon Rattle, der sich seit Jahren um den musikalischen Nachwuchs in Venezuela kümmert, war begeistert, als er diesen Sommer erstmals mit dem Teresa-Carreño-Orchester zusammenarbeitete. „Die Truppe musiziert besser als viele Profiorchester in Europa“, schwärmte er. Rattle erklärte sich bereit, in der zweiten Hälfte des Berliner Konzerts die Fünfte Sinfonie von Prokofjew zu dirigieren. Die Musiker hätten manche Passagen so brillant gespielt, wie er es noch nie gehört habe.

„Als Rattle bei den Proben ans Pult kam, sprang ein Funke über. Wir haben Prokofjew mit ihm völlig neu interpretiert“, sagt die 18-jährige Geigerin Angélica Olivo León, die im März als Solistin mit Claudio Abbados Orchestra Mozart in Italien auftrat. Abbado hatte ihre große Begabung erkannt, als er das Teresa Carreño Orchester und das Simón Bolívar Orchester kurzerhand zusammenlegte, um mit ihnen Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ aufzuführen. „Angélica ist ein Ausnahmetalent, ein weiblicher Paganini“, meint auch der Kontrabassist Edicson Ruiz, ebenfalls Absolvent des Sistema, der vor sieben Jahren als bis dahin jüngstes Mitglied bei den Berliner Philharmonikern aufgenommen wurde.

Das Teresa Carreño Orchester, das nach der bekanntesten venezolanischen Pianistin benannt ist, gehört zu den jüngeren Orchestergründungen im Land. Mehr als 300 000 Kinder und Jugendliche musizieren dort inzwischen in staatlich finanzierten Ensembles. Seit 35 Jahren kämpft der Vater des Sistema, der Ökonom und Dirigent José Antonio Abreu, dafür, arme Kinder dem Teufelskreis von Armut, Kriminalität und Gewalt zu entreißen. Das Sistema erneuert sich ständig aus sich selbst heraus. Überall im Land, auch in Gefängnissen und auf Mülldeponien, entstehen „nucleos“ – Musikschulen, an denen Mitglieder der ersten Generationen des Orchestersystems unterrichten.

„Abreus Sistema rettet nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Familien und Freunde“, sagt der Hornist Fergus McWilliam, der mit Kollegen von den Berliner Philharmonikern Orchester in Venezuela betreut. „Die Musiker des Teresa Carreño Orchesters sind wie unsere Kinder. Wir kennen sie schon seit ihrem zehnten Lebensjahr“, sagt der Klarinettist Walter Seyfarth. Den ersten Kontakt über den Atlantik knüpfte 1999 der damalige Chefdirigent Abbado, als er mit dem Gustav Mahler Jugendorchester in Caracas gastierte. Rattle baute die Zusammenarbeit weiter aus und besucht seit Jahren regelmäßig das südamerikanische Land.

Die Mentoren sind beeindruckt von dem starken Zusammenhalt innerhalb der Jugendorchester. Neben Disziplin gilt Solidarität viel. „In Europa stehen Musiker in einem Konkurrenzverhältnis zueinander“, meint McWilliam. „Die Instrumentalisten in Venezuela teilen ihre Kenntnisse dagegen immer mit den anderen.“

Die Sinfónica Juvenil Teresa Carreño spielt Montag in der Philharmonie, 20 Uhr.

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