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Heidi Specker-Ausstellung: Die Oberflächenforscherin

Heidi Specker ist für ihre Architekturfotografien bekannt. Nun zeigt sie in der Berlinischen Galerie rätselhafte Porträts. Ein Atelierbesuch.

Wie ist das wohl – eine Porträtsitzung, bei der man sich überhaupt nicht in Szene setzen darf? „Stell dir vor, du stehst an der Bushaltestelle!“ „Stell dir vor, du bist bei einer Tanzveranstaltung, aber du tanzt nicht mit“, so instruierte Heidi Specker befreundete Künstler und Bekannte, die sie zu sich ins Studio einlud, um sie zu fotografieren. Sie wünschte sich lapidare Situationen, bei denen die Person fast unsichtbar ist. Von manchen Kandidaten hat sie 500 Fotos gemacht. Nur wenige davon haben es in die Ausstellung in der Berlinischen Galerie geschafft. Und was sind das für merkwürdige Porträts!

Manche zeigen eine Person von Kopf bis Fuß, andere präsentieren nur zwei Ellenbogen, auf eine Tischplatte gestützt. Bei jedem Bild fragt man sich, warum gerade so? Die Personen schauen aus dem Bild hinaus oder senken den Blick. Ein Mann im Profil hat die Augen geschlossen. Es gibt nur ein Bild, bei dem der Portraitierte in die Kamera schaut. Mitunter sind Utensilien wie Sonnenbrillen oder ein falscher Schnurrbart im Spiel. Einige der Abgebildeten wirken abwesend, andere sehen in sich hinein. Und bei einem besonders verstörenden Bild, sitzt der Porträtierte schlaff und marionettenhaft auf einem Stuhl und fokussiert etwas – er betrachtet sich selbst im Spiegel.

Menschen kamen auf Speckers Bildern bisher nicht vor

„Erst wollte ich Porträts machen. Nun ist es eine Arbeit über das Porträt geworden“, sagt Specker in der Wohnküche ihres Kreuzberger Ateliers. Hinter der Küche liegt ein langgestreckter Raum mit einer breiten Fensterfront, dorthin hat sie ihre Modelle eingeladen. „Entweder am Vormittag mit einem Mittagessen zwischendurch, oder am Nachmittag mit Kaffee und Kuchen,“ sagt Specker. Der spärlich möblierte Raum ist an einer Wand schwarz gestrichen, im hinteren Teil stehen Regale. Heidi Specker hat ihr Studio bisher eher zum Sortieren und Archivieren ihrer Fotografien benutzt. Sie ist normalerweise draußen unterwegs. In ihrer 25-jährigen Laufbahn als Fotografin hat sie Menschen bisher stets ausgeblendet.

Die gebürtige Niedersächsin gilt als Spezialistin für Architekturen, für die skulpturale Qualität von Oberflächen, für die Textur der Stadt. 1993 kam sie nach Berlin. „Ich besuchte ein Freundin und blieb hier hängen“, sagt sie. In der Stadt formierte sich damals eine vibrierende Szene für Techno- und Elektromusik, Specker besuchte Clubs wie das E-Werk und das Panasonic, das Elektronische inspirierte sie. Für ihre „Speckergruppen Bildings“ fotografiert sie Nachkriegsbauten in Ost- und West-Berlin, am Alexanderplatz oder im Hansaviertel.

Sie scannte die Bilder ein, eliminierte am Computer Schatten und Tiefenwirkungen, so dass die Gebäude wie verschwommene, malerische Kompositionen wirkten. Damit wurde sie zur Pionierin in Sachen Digitalfotografie, nicht weil sie früh mit Photoshop arbeitete, sondern weil sie keinen Hehl daraus machte. Ihr ging es wohl nie darum zu zeigen, was ist. Vielmehr tastet sie die Realität auf neue Sichtweisen ab. Bei ihrer Serie „Im Garten“, die ebenfalls in der Berlinischen Galerie zu sehen ist, sieht Berlin ab und an wie Los Angeles aus. Der Westküsteneindruck ergibt sich durch die Farben und die kühnen Ausschnitte. Auch um solche Kippmomente geht es in Speckers Arbeit.

Die Berlinische Galerie hat ihre Serie "Im Garten" gekauft

Specker hat in Bielefeld und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studierte, wo sie seit fünf Jahren selbst lehrt. Sie leitet eine Klasse für Fotografie. Und was kann man jungen Menschen beibringen, wenn das Bildermachen so selbstverständlich und leicht ist wie heute? „Bildkomposition, Konzeption, den Umgang mit Raum. Auch die Beschäftigung mit Kultur und Gesellschaft an sich. Man kann begleiten, Möglichkeiten aufzeigen“, sagt Specker. Ob jemand analog oder digital fotografiert, ist ihr egal.

„Es hat mich nicht gewundert, dass Heidi Specker sich jetzt der Porträtfotografie widmet“, sagt Ulrich Domröse während er beim Aufbau der Ausstellung zwischen mit Fotografien beladenen Rollwägen herumläuft. Die Berlinische Galerie, deren fotografische Sammlung Domröse leitet, hat Speckers Serie „Im Garten“ vor einigen Jahren angekauft. „Wenn wir eine solche Position aus der Sammlung ausstellen, animieren wir den Künstler zu einer neuen Produktion“, sagt Domröse.

Die Berliner Fotografin Heidi Specker.

© Arun Sarin

Er erzählt wie er in den vergangenen zwei Jahren immer wieder in Speckers Kreuzberger Atelier kam, wie er half die Fotos auszusortieren, und wie er miterlebte, dass nach einer gewissen Zeit Aufnahmen von Gegenständen und Räumen Eingang in die Serie fanden. Heidi Specker gab ihren Modells Postkarten von Schauspielern und Künstlern in die Hand. Als Ablenkung und Inspiration. Nun sieht man auf manchen Bildern, Hände, die Postkarten halten. Auch Perücken oder eine Porzellankatze vor der schwarzgestrichenen Studiowand tauchen auf. Manche Besucher brachten ihre Haustiere mit.

Ein Porträt ist immer auch Maskerade

Auf einem Bild ist ein buschiger Hundeschwanz zu sehen. Das Porträt ist immer auch Maskerade, selbst wenn es nur ein Lächeln ist, das man aufsetzt. Specker wollte, dass man das sieht. Sie konnte ohnehin nicht ganz verhindern, dass ihre Modelle sich hübsch machten. „Ein Freund hat sich extra einen neuen, gelben Pullover gekauft“, erzählt sie. In der Ausstellung hängt das Porträt des Mannes nun in nuanciertem Schwarz-Weiß.

Specker selbst sieht auf Fotos oft aus, als würde sie sich ungern fotografieren lassen. Entweder guckt sie grimmig oder sie schaut weg. Sie hat für ihre Serie bewusst Menschen aus ihrer eigenen Generation ausgewählt, Leute zwischen vierzig und fünfzig, deren Gesichter für die derzeitige Fotografie völlig uninteressant sind. In den Bildern will sie den Personen nicht auf die Spur kommen. Eher sucht sie nach Ähnlichkeiten mit sich selbst.

Sie tastet mit der Kamera deren Oberflächen ab, Details wie Fältchen, Linien, Haare, die Fasern von Hosen oder Pullis treten deutlich hervor. Ebenso hat Specker es auch bei den Hausmauern, Kaufhausfassaden und Bäumen vor Betonwänden gemacht. Es ist dasselbe Interesse an Strukturen und Mustern. Aber ein Aspekt ist neu: die Frage nach der Macht. Wer bestimmt das Bild, die Fotografin oder der Abgebildete? In Speckers Fall gewinnt wohl mit leichtem Vorsprung die Frau mit der Kamera.

Berlinische Galerie, Eröffnung: Do 10.3., 19 Uhr, bis 11.7., Mi-Mo 10-18 Uhr

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