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Kultur: Die Platten-Spieler

Seit zehn Jahren entwickeln Stereo De Luxe den Clubsound: als DJs und Musiker

Im „Nitsa“, einem schönen alten Ballhaus in Barcelona, tanzen mehrere hundert Spanier. Es ist dies ein Moment, wie ihn sich DJs wünschen: alles schwitzt, alles tanzt, keiner denkt an die letzte U-Bahn. Aber dann geschieht es: Die Nadel rutscht von der Platte und frisst sich mit einem hässlichen Geräusch in die Filzmatte. Ein Albtraum. Drei unendlich lange Sekunden herrschte Stille mitten auf der überfüllten Tanzfläche.

In Berlin hätten sie so einen Moment mit höhnischem Gelächter quittiert. „Und was machten die Spanier?“ Kassi legt eine dramatische Pause ein. „Sie applaudierten und tanzten noch euphorischer!“ Der Mann mit der bekanntesten Zahnlücke des Berliner Nachtlebens bildet mit seinem Kompagnon Tom Krimi das Berliner DJ-Duo Stereo De Luxe, dass seit zehn Jahren Tanzflächen im In- und Ausland bespielt. Die beiden sind nicht nur DJ-Veteranen, sondern seit einiger Zeit auch Musiker. Die Rillen auf ihren Platten kann man als Jahresringe lesen, auf denen sich die Entwicklungen der Berliner DJ-Kultur der vergangenen Dekade abzeichnen.

Nach Berlin kam der Literatur - und Filmwissenschaftsstudent Kassi, geboren 1970 in Göttingen, nicht wegen der Bibliotheken. Ihn lockte die Musikszene. Damals, 1991, ging man zum Tanzen noch nach Westberlin, ins Fischlabor. Später gab es improvisierte Läden wie den Lovedigger und die vielen namenlosen Kellerclubs und Wochenendbars. Die erste Techno-Euphorie ebbte gerade ab, als Gegenbewegung zogen zwei DJs mit einem Brett durch die Clubs, auf das sie Plattenspieler geschraubt hatten. Auf die Plattenteller kamen nur Fundstücke vom Flohmarkt, B-Seiten, Fahrstuhl- und Orchestermusik. Le Hammond Inferno traten damit einen Trend los, der viele ergriff und unter dem Namen Easy Listening für eine kurze, lustige Epoche das Clubleben prägte.

Unter diesem Etikett begann auch Kassi, der über die wohl bestsortierte Berliner Sammlung französischer Sixtiesraritäten verfügt, in Clubs aufzulegen. Seinen Namen wählte er nach frühen Stereo-Demonstrationsplatten. Die Easy-Listening-Welle verebbte wie andere auch und die DJs mussten sich einen neuen Platz suchen. Manche spezialisierten sich auf das Sammeln von Raritäten – etwa früher Detroitplatten – andere begannen selbst Musik aufzunehmen. Kassi ging zunächst auf USA-Tournee. Im Restaurant „Windows of the World“ ganz oben im World Trade Center spielte er Acid-Jazz. Dort dachte er über ein Problem nach: Wie konnte man den Sound alter Jazz- und Orchesterstücke mit den gebrochenen Rythmen der neuen Big-Beat-Szene versöhnen?

Er nahm Soundschnipsel aus seiner Sammlung von rund 6000 Platten auf, Tom Krimi unterlegte sie mit massiven Bässen aus einem alten Korg-Synthesizer und spielte Gitarrenriffs darauf. Die Maxi „Aerocyclette“ erschien 1999 auf dem Label Bungalow, das die DJs vom Hammond Inferno inzwischen gegründet hatten. Sie bot eine neuartige Mischung aus Pop, Big Beat und Funk. Kassi beendete sein Monodasein und legt seitdem gemeinsam mit Tom auf, mit dem er sich heute ein Tonstudio teilt. Trotz internationaler Tourneen, auch das ist durchaus typisch für den flüchtigen Beruf des Discjockeys, bleibt Kassi zurückhaltend: „Es ist toll, wenn man vom Auflegen leben kann. Aber es ist verheerend, wenn man vom Auflegen leben muss.“

In Berlin kann man sie gelegentlich in der Maria, dem King Kong Klub oder der wiedererstandenen Boogie Bar hören. Der Stereo-De-Luxe-Sound liegt mittlerweile auf acht Platten vor. Er ist rockiger geworden, leistet sich aber immer noch ironische Überraschungen. Davon wird man sich auf der Geburtstagsfeier am Samstag mit alten Weggefährten wie dem Hammond Inferno, der Band Girls United und den britischen DJs von Plastic Raygun überzeugen können.

Am 8.5. um 23 Uhr in der Pfefferbank (Schönhauser Allee 176). www.stereo-de-luxe.com

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