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Die französische Schriftstellerin Victoria Mas, 33

© Astrid di Crollalanza/Piper Verlag

"Die Tanzenden" von Victoria Mas: Das Unheil der Hypnose

Im Bauch der Pariser Salpêtrière: Victoria Mas’ Erfolgsroman „Die Tanzenden“.

Das Ambiente dieses Debütromans der französischen Autorin Victoria Mas ist vielversprechend: Paris Ende des 19. Jahrhunderts, das Hôpital de la Salpêtrière, die berühmt-berüchtigte psychiatrische Pariser Klinik. Berühmt, weil hier der Neurologe Jean-Martin Charcot praktizierte und lehrte. Oder sein Kollege Joseph Babinski, Entdecker des dann nach ihm benannten Fußsohlenreflexes.

Berüchtigt, weil es seinerzeit in der Salpêtrière vor allem ums Wegsperren von Kranken und Frauen ging, sie „eine Mischung aus Irrenanstalt und Gefängnis“ war, wie Mas schreibt.

Die Hauptfiguren von „Die Tanzenden“, wie Mas Roman auf Deutsch heißt (Aus dem Französischen von Julia Schoch. Piper Verlag, München 2020. 235 S., 20 €.), sind demnach drei Frauen: Die eine, Geneviève, arbeitet als Oberschwester in der Salpêtrière; die andere, Eugénie, 17, 18 Jahre alt, wird hier von ihrer Familie eingeliefert, weil sie ihrer Großmutter gestanden hat, mit Toten Kontakt zu haben, diese sehen zu können. Klinisch auffällig ist sie jedoch nicht.

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Die dritte, Louise, ist schon länger in der Salpêtrière und wird von Charcot häufiger bei seinen Hypnose-Lehrstunden vorgeführt. Sie treffen nun aufeinander, unter anderem, weil Eugénie mit der toten Schwester von Geneviève kommuniziert, und Mas erzählt vor diesem Hintergrund ihre Lebensgeschichten. Eugénie stammt aus bürgerlichen Verhältnissen, Louise aus kleinen, ärmlichen, Geneviève vom Land.

So schön und detailliert wie das historische Paris in „Die Tanzenden“ zunächst ausgepinselt wird, entsteht bei der Lektüre bald der Eindruck, es hier mit einem klischeisierten, am Reißbrett konstruierten Roman zu tun zu haben, der zu allem Überfluss den einen oder anderen übernatürlichen, spiritistischen, nicht zuletzt also märchenhaften Gothic-Zug trägt.

Die Effekte, die Bilder, die Inszenierung - allesamt sehr stimmig

Schwarz und weiß, gut und böse, wenig dazwischen. Geneviève ist eine treue Dienerin im Dienst der Salpêtrière, selbst wenn ihr Weltbild irgendwann ins Wanken gerät; Eugénie hat die Rolle der aufbegehrenden jungen Feministin, die mit den bürgerlichen Konventionen bricht und ohne Brechung ihre Geister bis zum Ende sehen darf: ein weiblicher Entwicklungsroman der jenseitigen Art.

Und Louise ist die Frau, die keine Chance hat, die weniger ihre Erkrankung als vielmehr den Wahnsinn der Verwahranstalt repräsentiert.

Und dann gibt es noch die Reichen und Großbürger, die sich auf dem traditionellen bal de folles, den es tatsächlich jahrelang in der Salpêtrière gab, amüsieren, die gespannt die Performance der kranken Frauen verfolgen: „Hätte man diesen Ballsaal gerade betreten, ohne den Zusammenhang zu kennen, würde man all die für verrückt und exzentrisch halten, die es an diesem Abend angeblich nicht sind.“

Mas, 1987 geboren, Tochter der Popsängerin und Schauspielerin Jeanne Mas, steuert ihre Geschichte dramaturgisch auf diesen Ball hin, im Original heißt der Roman passenderweise „Le Bal de Folles“. Die Effekte, die Bilder, die Inszenierung, sie stimmen hier – und verbergen, dass es erzählperspektivisch hie und da wackelt, Eugénie etwa manchmal so viel weiß wie Victoria Mas. Ärgerlicher, schmerzhafter ist, dass die emanzipative, gesellschaftskritische Bewegung dieses Romans arg billig und plakativ wirkt, und da hilft erst recht keine Hypnose.

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