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Jürgen Schreiber setzte als Journalist Maßstäbe.

© Oliver Jungen

Jürgen Schreiber ist tot: Die Wahrheit im Detail suchen

Er war Reporter, er wurde Publizist: Jürgen Schreiber ist mit 75 Jahren gestorben. Ein Nachruf..

Wer je wissen wollte, was einen Reporter ausmacht, war bei Jürgen Schreiber sofort an der richtigen Adresse. Schreiber war willens, in Berlin-Mitte Häuserblock für Häuserblock Klingelschilder abzulesen – auf der Suche nach einer Person, für die seine aktuelle Story wichtig war.

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Acht Jahre hat Jürgen Schreiber, geboren 1947 in Heilbronn, für den Tagesspiegel gearbeitet, von 1999 an als Redakteur, von 2001 an als Chefreporter, verpflichtet vom damaligen Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Da war er schon wer im deutschen Journalismus, hatte für die „Stuttgarter Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“ und „Die Woche“ geschrieben, für die Magazine von „Zeit“ und der „Süddeutschen“ als Reporter gearbeitet.

Mit seinen Texten, mit seiner Art, sie faktisch zu grundieren, hat er Maßstäbe für die Dritte Seite des Tagesspiegels und weitere Orte in dieser Zeitung gesetzt, wo Reportagen und andere „Long Reads“ ihren Platz hatten. Jürgen Schreiber ging raus, nach Berlin und in die Welt hinein, immer auf der Suche nach dem Kern einer Geschichte, immer auf Recherche nach den Details, die eine Geschichte besonders und damit groß machen konnten.

"Schwäbischer Bruddler"

Maßstäbe bedeuten Erwartungen, Ansprüche an sich selbst und Erwartungen an andere Reporterinnen und Reporter. Der „schwäbische Bruddler“ Schreiber war kritisch, mit sich selber und mit anderen. Ihm einen Text zur Redigatur zu geben hieß, sich auf eine intensive, zuweilen streitige Auseinandersetzung einzulassen. Die Qualität eines Textes kommt auch von der Arbeit an einem Text, sagte er einmal.

Heute würde Jürgen Schreiber als Investigativjournalist gelten. Wie auch anders, wenn er im Zusammenhang mit dem Entführungs- und Mordfall des Bankierssohns Jakob von Metzler enthüllte, dass die Ermittlungsbehörden den beschuldigten Magnus Gäfgen mit Folter bedrohten. Dann wies er nach, dass die in dem berühmten Bild von Gerhard Richter „Tante Marianne“ gemalte Marianne Schönfelder nicht nur von NS-Ärzten umgebracht worden war, sondern dass Richters Schwiegervater als SS-Mann maßgeblich an der Sterilisierung von Menschen mit Behinderung beteiligt war.

Vielfach ausgezeichnet

Derartige Funde hat der vielfach ausgezeichnete Schreiber nicht auf Zeitungspapier, sondern auch in Buchform gebracht. Mit „Ein Maler aus Deutschland“ über Gerhard Richter 2005 wechselte er in die Publizistik, es folgten Bücher über „Meine Jahre mit Joschka Fischer“ und die Stasi. Stets konnte der Leser im jeweiligen Detailreichtum Solitärsätze für die bleibende Erinnerung finden.

Dieser Reporter hat nicht nur recherchiert, er hat auch intensiv gelebt und geliebt – drahtig wie er war, war er auch ein passionierter Rennradfahrer. 30, 40 Kilometer waren für ihn kein Pensum, sondern Aufwärmtraining. Eine seiner besten Storys war die über Jan Ullrich, den Tour-de-France-Sieger.

Tod mit 75 Jahren

Am Montag ist Jürgen Schreiber mit 75 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls in München gestorben.

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