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Dashmir Ristemi als Goran und Viola von Scarpatetti als Sascha in "Heimatland".

© Arsenal Filmverleih/dpa

Schweizer Film "Heimatland": Die Welt zerbirst

Beklemmende Vision: Im Film „Heimatland“ wird die Schweiz von einer Katastrophe überrollt, die einen Massenexodus auslöst. Ausgerechnet eine Familie aus dem Balkan kann das Land verlassen.

„Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Die Europäische Union hat beschlossen, mit sofortiger Wirkung keine Schweizer Flüchtlinge mehr aufzunehmen. (...) Die Einreise in die Europäische Union ist allen Schweizer Staatsbürgern bis auf Weiteres untersagt. Bitte verlassen Sie unverzüglich die Grenzzone.“ So tönt es durch das Megafon eines deutschen Grenzpolizisten, während sich hinter Absperrgittern und frisch angebrachtem Natodraht auf der Rheinbrücke anstürmende Eidgenossen drängeln: Bilder, die wir so ähnlich gut kennen. Nur, dass die Schweiz dabei bisher, wenn überhaupt, als sogenanntes Durchgangsland vorkam. Und es im Film – ganz gegen aktuelle politische Realitäten – ausgerechnet eine Familie aus dem Balkan ist, die mit ihren kosovarischen Pässen als einzige die EU-Außengrenze passieren darf.

Wie es zu diesen Verhältnissen kam, erzählt dieser von zehn Filmemachern (darunter zwei Regisseurinnen) aus der Deutsch- und Westschweiz gemeinsam realisierte Film in einem knappen Dutzend narrativ eng, doch personell kaum verwobener Episoden. Dabei ist der Ton trotz einiger satirischer Elemente eher düster als grotesk. Und auch die sich über dem Handlungsort formierende dunkle Gewitterwand als Hauptmotiv evoziert Katastrophenfilmisches wie Roland Emmerichs Global-Warming-Drama „The Day after Tomorrow“, an dessen Genre-Dramaturgie diese eher niedrig budgetierte Produktion frei anknüpft. Doch sie erinnert auch an jene radioaktive Zusammenballung, die nach dem Atomunfall von Tschernobyl wochenlang über Europa kreiste – Vorlage für Gudrun Pausewangs 2006 verfilmten dystopischen Roman „Die Wolke“.

Offene Gewalt und nationalistische Hetzkampagnen

Doch „Heimatland“ zielt nicht auf ein ökologisches Desaster. Und die riesige Wolke, die sich an einem halben Tag über dem Land aufbaut, kommt aus dem idyllischen Innersten der Schweiz selbst – anfangs steigen zarte Nebelfetzen aus Geröllspalten und Bergseen auf, um sich bald Richtung Zürich bedrohlich zusammenzubrauen. Dort folgen auf faszinierte Fensterblicke der Anwohner erst behördliche Unwetterwarnungen und, kurz vorm Stromausfall, Aufrufe, dringend die noch übrigen Réduit-Weltkriegs-Bunker aufzusuchen. Doch von den sozial und mental bunt gemixten Protagonisten halten sich nur wenige daran, die Reaktionen reichen vom orgiastischen Ausflippen bis zu Suizid und eben Flucht.

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Es überrascht angesichts des Titels nicht, dass die Kollektivarbeit das drohende Desaster zum Ausblick auf mit sichtbarem Befremden inszenierte nationale Eigenheiten nutzt. Der Sturmwind scheucht das Land geradezu mit Macht aus historischen und aktuellen Verdrängungen. So wird aus latenter Gewalt offene Gewalt, die sich in Plünderungen und nationalistischen Hetzkampagnen ausdrückt. Und während man im Büropalast einer Versicherung schon an neuen Profit-Strategien werkelt, machen Hooligans Jagd auf vermeintlich Fremde.

Eine beklemmende Metapher für die an ihren Widersprüchen zerberstenden Welt

Dabei leuchten nur die vom Massenexodus verstopften Alpen-Autobahnen wie von Altdorfer gepinselte Landschaftspanoramen in einem über weite Strecken auch visuell düsteren Film. Der macht bei aller Skizzenhaftigkeit in Plot und Figurenzeichnung Zorn und Unmut der von 1976 bis 1985 geborenen Filmemacher an ihrer Heimat kraftvoll deutlich. Außerhalb der Schweiz liest sich das Szenario in der aktuellen Nachrichtenlage auch wie eine beklemmende Metapher für eine gerade an ihren Widersprüchen zerberstende Welt.

b-ware (OmU), Babylon Mitte

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