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Kultur: Die wiedergewonnene Tradition

Sie waren nach der Teilung der Stadt Ende der vierziger Jahre organisatorisch auseinandergerissen worden, nachdem ihre Baulichkeiten im Krieg zerstört und ihre Sammlungen zerstreut worden waren.An einen planmäßigen Wiederaufbau war kaum zu denken.

Sie waren nach der Teilung der Stadt Ende der vierziger Jahre organisatorisch auseinandergerissen worden, nachdem ihre Baulichkeiten im Krieg zerstört und ihre Sammlungen zerstreut worden waren.An einen planmäßigen Wiederaufbau war kaum zu denken.Er vollzog sich dann, den jeweiligen Möglichkeiten gemäß, im Ost- wie im Westteil der Stadt, bis sich Ende der achtziger Jahren zwei wohlbestallte Museumskomplexe gegenüberstanden: der eine mit den schwächeren Sammlungen und den historischen Gehäusen im Osten, der andere mit dem gewichtigeren Bestand und überwiegend neuerrichteten Häusern im Westen.

Nach der organisatorischen Wiedervereinigung der Staatlichen Museen braucht die physische der Sammlungsbestände ihre Zeit.Nicht in jedem Fall ist - wie unlängst bei der Antikensammlung - die Rückkehr ins angestammte Domizil zu feiern, als ginge nur eine, wenn auch langdauernde Störung zu Ende.Die Gemäldesammlung bezieht ein neuerrichtetes Haus.Am Freitag dieser Woche wird der Neubau feierlich eingeweiht, ehe am Sonntag der erwartete Publikumsstrom anbranden darf.Die Meisterwerke aus dem Dahlemer Provisorium ziehen ebenso in den Neubau am Kulturforum wie die Bestände aus dem Bode-Museum.

Der Neubau aber ist nicht die Antwort auf das Geschenk der Vereinigung, sondern das Ergebnis einer ihrerseits Jahrzehnte zurückreichenden Planung.Das Ergebnis gibt, aller Freude über die endlich angemessene Unterbringung der Schätze zum Trotz, Anlaß zu Rückblick und Besinnung.

Fast eher noch: zur Verwunderung.Denn daß ein Museum für Meisterwerke der europäischen Malerei bis zur Schwelle des 19.Jahrhunderts, mithin eine vollgültige Pinakothek errichtet werde, ist trotz des weltweiten Museums-Booms eine Ausnahme.Uffizien und Louvre, Prado und Semper-Galerie bergen, so scheint es, seit Urzeiten ihre Schätze.Selbst späte Nachzügler wie die National Gallery in Washington reihen sich umstandslos in die würdige Ahnenschaft ein.Und in München wird zur Zeit diejenige Gemäldegalerie renoviert, die nichts als diesen Namen trägt: die (Alte) Pinakothek.

An diesem 1836 vollendeten Meisterwerk Leo von Klenzes wird die Museumsarchitektur seither gemessen.Vorbildlich wurden das Oberlicht, das gleichmäßig auf die Wände eher fließt denn fällt, sowie die Längsrichtung der Galeriesäle, die die Abfolge der Bildhängung und damit der Betrachtung vorgeben.Ein Vorbild in etwas andere Hinsicht ist Schinkels 1830 eröffnetes Altes Museum am Lustgarten, in dem anfangs die zu dieser Zeit noch recht bescheidenen königlichen Gemäldebestände untergebracht wurden.Von hier aus ging die bahnbrechende Neuerung der Berliner Gemäldesammlung - die Aufstellung nach der wissenschaftlichen Systematik geografisch unterschiedener "Schulen" - in alle Welt.

In der historischen Erinnerung verbinden sich die Kunstbestände mit dem mächtigen Kaiser-Friedrich-Museum auf der Nordspitze der Spree-Insel, die Friedrich Wilhelm IV.1841 zu einer "Freistätte für Kunst und Wissenschaft umzuschaffen" befahl.Das heutige Bode-Museum, 1904 eröffnet, sah den Gipfel der Berliner Sammeltätigkeit - und mit der Verlagerung der Bestände nach 1939 zugleich den Absturz, gingen doch nicht weniger als 434 Gemälde, darunter fast alle Großformate, beim Brand des Flakturms Friedrichshain 1945 verloren.Das Dahlemer Provisorium erlebte die Rückkehr der in den Westzonen gelagerten Bestände und deren mühevolle Ergänzung durch Einzelerwerbungen.

Auf der Grundlage dieses Bestandes wurde das neue Haus am Kulturforum geplant.Rings um die Freifläche des "eigentlichen" Kulturforums - die in diesen Tagen mit Baumpflanzungen wenigstens einen Anflug von Würde erhält - gruppieren sich neben den beiden Philharmonien und der Staatsbibliothek die "Museen der europäischen Kunst", als deren Höhe- und Schlußpunkt die Gemäldegalerie erdacht war.Das Debakel des 1985 eröffneten Kunstgewerbemuseums zwang zum Wechsel des Architektenbüros.Aus einer beschränkten Auslobung ging der Entwurf des Münchner Duos Heinz Hilmer und Christoph Sattler siegreich hervor, der die Anforderungen der Museumsleute am besten zu erfüllen versprach.Kernbestandteile: Oberlichtsäle, gerichtete Ordnung; mithin die Abfolge der herkömmlichen "Schulen".

Was nicht auf dem Programm stand, war das Ende der DDR und in seiner Folge das Zusammenraufen der beiden Museumskomplexe, das fast durchweg zu einem guten Ende führte.Heftige Debatten löste allerdings der Gang der Dinge bei den "Alten Meistern" aus.Sie sollten, so war es der feste Entschluß der Generaldirektion der Museen, unverändert ans Kulturforum ziehen.Das Bode-Museum kam als Alternative nicht wirklich in Betracht.

Es war sicherlich viel Nostalgie im Spiel bei denen, die sich für das Bode-Museum stark machten.Davon abgesehen, ging es um Wichtigeres als den bloßen Aufbewahrungsort der Kunst, ob im neuen oder im alten Gehäuse: Es ging um die Präsentation, ja um das Verständnis der Gemälde.Wilhelm Bode nämlich, dem zu Ehren die DDR das Kaiser-Friedrich-Museum 1956 umbenannte, hatte sich aus der zunehmend verwissenschaftlichten Darbietung gelöst, indem er "Epochenräume" einrichtete, die Gemälde, Skulpturen und Kunstgewerbe vereinten, jedoch keine dekorativen Arrangements historischer Vorbilder nach Art von Schloßmuseen darstellten.Sie sollten den künstlerischen Gehalt, das Stilwollen einer Epoche lebendig vor Augen stellen.Das Bodesche Intermezzo wurde aus der West-Berliner Erinnerung gründlich getilgt.Die Einrichtung unabhängiger Museen für Skulptur und Gemälde war ebenso selbstverständlich wie die Planung entsprechender Häuser.Die erhoffte Skulpturengalerie, als letzter Baustein des Ensembles am Kulturforum auf die lange Bank geschoben, mußte endgültig gestrichen werden, als die finanziellen Lasten der Sanierung des Altbestandes der Museumsinsel auf die Preußen-Stiftung zukamen.

In den sechziger Jahren erdacht, in den achtziger Jahren geplant, Ende der neunziger Jahre eröffnet: Die neue Gemäldegalerie ist ein Kind der Teilung.Ob sie es auf immer bleibt, hängt von der Entwicklung im Museumswesen ab.Denn das Festhalten an der rigiden Trennung der Gattungen Malerei, Skulptur und Kunstgewerbe ist umstritten, und nicht nur aus lokalem Berliner Grund.Im vergangenen Dezember erst wurde in Los Angeles der gigantische Neubau des Getty Centers mit seinem gleichnamigen Museum eröffnet - und dieser, nun wirkliche Nachzügler unter den die ganze europäische Kunstgeschichte überspannenden Sammlungen glänzt mit period rooms nach dem Berliner Vorbild.Diese Räume rufen die Erinnerung französischer Schlösser auf; freilich entschlackt um alles bloß Dekorative und zielstrebig ausgerichtet auf die Glanzpunkte.Innerhalb der Architektur des Bauhaus-Adepten Richard Meier irritieren diese Räume um so stärker - und wirken dennoch überzeugend, ja geradezu zwingend hinsichtlich der Vermittlung einer vergangenen Kunstepoche.

Denn auch darum geht es, und nicht nur um die isolierte Betrachtung von Kunstwerken, die nur mehr als Objekte der fachspezifischen Analyse dargeboten werden.Mit der vor einigen Jahren erfolgten "Degradierung" des als Hauptwerk von Rembrandt erworbenen und jahrzehntelang stolz vorgeführten "Mannes mit dem Goldhelm" zur bloßen "Umkreis"-Schöpfung sind Triumph und zugleich Kehrseite solcher stilkritischen Analyse beispielhaft vorgeführt worden.Denn die Rembrandt-Ikone wies immer über sich selbst hinaus; sie war nicht einfach ein Spitzenwerk neben anderen.Sie meinte auch den "Besitz" einer Epoche, meinte das Erbe, das die bürgerlich-wissenschaftlichen Museen als Stätten kultureller Identitätsbildung von Kirche und Hof übernommen hatten.Anders ausgedrückt, spiegeln Museen auch die Wertvorstellungen der Gesellschaft, die sie tragen, wie auch deren Wandel.

Mit dem ausdrücklichen Rückbezug des Gemäldegalerie-Neubaus auf das Vorbild der Klenzeschen Pinakothek sollte ein Zeichen gegen modernistische Trends im Museumswesen gesetzt werden.Die Gemäldegalerie stellt sich in eine Tradition, die in Berlin durch die Folgen des Krieges schon einmal unwiderruflich abgerissen schien.Aber daß es kein historisches Zurück gibt, dem nicht die Brüche der Geschichte eingeschrieben bleiben, belegt die Tatsache des Neubaus an einem durch die deutsche Teilung notwendig gewordenen neuen Bauplatz."Die Wahl dieses Standortes" - heißt es in der Architektur-Ausschreibung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von 1966 - "enstpricht aber auch dem Wunsch, diese neuen Museen zu dem alten Museumszentrum (...) in eine organische Verbindung zu bringen, die in einer glücklicheren Zukunft selbst dem Fußgänger die leichte und schenellste Erreichbarkeit der Museen untereinander ermöglicht." Die "glücklichere Zukunft" ist mittlerweile angebrochen.Doch statt im angestammten Haus muß die Tradition der Gemäldegalerie nunmehr auf der grünen Wiese der Nachkriegs-Schöpfung Kulturforum gepflegt werden.

Es besteht jeder Anlaß zur Freude: über den Neubau, über die wiedervereinte Gemäldesammlung; über das Bildungserlebnis, das getreu dem Humboldtschen Motto "Erst erfreuen, dann belehren" hier wieder möglich wird wie zuvor ein halbes Jahrhundert lang nicht.Aber es besteht ebenso Anlaß, über die feierliche Eröffnung hinauszublicken auf eine Zukunft, die vor den Zufällen und Sachzwängen der Museums-Wiedervereinigung nicht Halt machen wird.

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