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Kultur: Die Zeugen Jehovas: In Gottes Namen

Die Zeugen Jehovas wollen in den komfortablen Schoß der Familie staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften. Heute wird das Bundesverfassunsgericht (BVG) voraussichtlich über den Antrag der Gruppe entscheiden, ob die Zeugen Jehovas eine Körperschaft öffentlichen Rechts sind.

Die Zeugen Jehovas wollen in den komfortablen Schoß der Familie staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften. Heute wird das Bundesverfassunsgericht (BVG) voraussichtlich über den Antrag der Gruppe entscheiden, ob die Zeugen Jehovas eine Körperschaft öffentlichen Rechts sind. In der Verantwortung des Staates liegt es zu prüfen, ob eine Gruppe, die als Körperschaft verankert werden will, den Standards des Grundgesetzes entspricht. Die Religionsgemeinschaften hingegen definieren sich theologisch: Sind wir eine Kirche oder nicht, sind wir gleichberechtigt oder nicht? "Für die meisten Kirchen der Ökumene sind die Zeugen Jehovas immer noch eine Sekte", sagt Constanze Kraft vom Ökumenischen Rat in Berlin Brandenburg.

Sollten die Zeugen Jehovas den Status der Körperschaft erhalten, kann die Kirche ihn nicht einfach wieder aberkennen. Dies könnte sie nur per Rechtsstreit durchsetzen.

Im Zuge der Geschichte hat die Kirche Abspaltungen oft als Sekte hingestellt und damit mundtot gemacht. Was Kirche ist, definiert die katholische Glaubensgemeinschaft bekanntlich anders als die evangelische. Trotzdem gelten beide Kirchen als Religionsgemeinschaften und sind Körperschaften öffentlichen Rechts. Die Pastoren sind Beamte, und beide Kirchen ziehen Kirchensteuer ein. Auch wenn die katholische Kirche die evangelische bis heute nicht als gleichberechtigt anerkennt. Kirche ist da, wo die Bischöfe den Aposteln in ihrem Amt nachfolgen, sagt Rom. Kirche ist da, wo die Menschen das Wort Gottes, die Bibel lesen und daran glauben, sagte Luther. Kirche ist da, wo wir den Menschen helfen sich von Unterdrückung zu befreien und zu überleben, sagen viele Missionare in Afrika oder Lateinamerika. Trotzdem ist es den katholischen Priestern bis heute verboten, das Abendmahl mit evangelischen Gläubigen abzuhalten. "Wir sind die Kirche im eigentlichen Sinne", hatte erst im vergangenen September der Chef der Glaubenskongregation des Vatikan, Joseph Kardinal Ratzinger, in seiner Schrift "Dominus Jesus" klargestellt. Die evangelische Kirche dürfe sich nicht mal Schwesterkirche nennen. Sie sei kaum mehr als eine Glaubensgemeinschaft, so Ratzinger.

In diesem Sinne ist sie auch nicht mehr als eine Sekte. Sekten waren im ursprünglichen und wertungsfreien Sinne politische oder religiöse Einzelgruppen. Im Laufe der Zeit wurde daraus erst der abwertende Begriff für Sondergemeinden, die sich von größeren Religionsgemeinschaften lösen und die Welt als Bedrohung empfinden. Was vielfach zu einer Staats-, Zivilisations- und Bildungsfeindlichkeit führt, gekoppelt mit besonderem Missionseifer. Die evangelische Kirche selbst würde sich nie als Sekte bezeichnen, aus katholischer Sicht ist sie aber nicht mehr als eine vom wahren Glauben abgefallene Religionsgemeinschaft.

Im ökumenischen Rat (ÖRK) der Kirchen sind 337 Kirchen aus mehr als 100 Ländern versammelt. Die katholische Kirche hat dort nur Beobachterstatus. Anders als die orthodoxe Kirche, die dort mit vertreten ist. Auch sie behauptet von sich die einzige wahre Kirche zu sein und sieht eher eine Nähe zur katholischen als zur protestantischen Kirche. Der ÖRK muß diese Spannungen und unterschiedlichen Kirchen-Auffassungen aushalten. Sollten die Zeugen Jehovas jetzt auch als Religionsgemeinschaft eingetragen werden, kommen sie, wie andere Körperschaften ebenfalls in den Genuss von Steuernachlässen, günstigeres Bau- und Grundstücksrecht winken, möglich ist dann eine Stimme in den Rundfunkräten, sie können freie Träger für Jugendhilfevereine werden, Religionsunterricht erteilen und sogar Kirchensteuer einziehen lassen. Auf letzteres wollen die Zeugen Jehovas vorerst verzichten. Bislang geht es ihnen um den Prestigegewinn - und darum, das anrüchige Sektenimage abzuschütteln.

Vor zehn Jahren war die Gemeinschaft schon einmal so weit. Im März 1990 noch hatte der Ministerrat der DDR die Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft und Körperschaft anerkannt. In der DDR hatten sie einen Bonus, weil viele ihrer Anhänger in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten gesessen hatten, da sie sich dem Militärdienst in der Wehrmacht konsequent verweigert hatten. Als im Zuge der Wiedervereinigung zu klären war, wie die Anerkennung der Gemeinschaft nach dem Recht der Bundesrepublik und dem Einigungsvertrag umzusetzten sei, kam die Frage nach dem Status erneut auf.

Im Zuge des aktuellen BVG-Verfahrens über die Zeugen Jehovas sind jetzt auch andere Gruppen wach geworden. Die ersten Anträge islamischer Gemeinschaften sind bereits gestellt. "Da sind wir ganz schnell bei der Frage nach dem Erteilen von Religionsunterricht durch die verschiedensten religiösen Institutionen an den öffentlichen Schulen", sagt Constanze Kraft. Theoretisch wäre denkbar, dass nach einem positiven Urteil auch die Zeugen Jehovas künftig an den Schulen unterrichten könnten.

Susanne Tenhagen

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