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Kino-Komödie "Zettl": Dietl tischt dick auf, man bleibt hungrig und verliert den Appetit

Seine Kino-Komödie „Zettl“ hat Hemut Dietl als ultimative Satire über das neue, reiche, laute Berlin angekündigt. Aber an den legendären Vorläufer "Kir Royal" kommt der Film lange nicht heran. Ein furchtbarer Verdacht drängt sich auf.

Das soll Berlin sein? Der Helikopter landet vor einer Flusslandschaft mit Wolkenkratzern, irgendwann muss Media-Spree in die Höhe explodiert sein, und der Hudson wurde in die deutsche Hauptstadt umgeleitet, nach Nju-Börlin. Eine Riesenlimousine fährt vor, jetzt müsste Jeremy Irons oder Michael Douglas ins Bild kommen, so ein richtiger Wall-Street-Hai, und ab zum Meeting der Executives. Zeit ist Geld, Klischees sind lieb und teuer: Hier wird, in dieser coolen Eingangsszene, die Latte ganz weit oben aufgelegt.

Und dann platzt die Blase, ehe man den hübschen Schwindel genießen kann. Der da aus dem Himmel fällt, ist Ulrich Tukur als schwiizerdütschelnder Unternehmer. Und der ihn da abholt mit dem fetten Auto, das ist Bully Herbig als unerschütterlich bajuwarisierender Chauffeur, ein gewisser Max Zettl, der Chefredakteur werden will beim neuen Hauptstadtorgan, das der verrückte Schweizer finanziert.

Hier drängt sich gleich ein Hauptstil- und Spielmittel dieses neuen Kinofilms von Helmut Dietl auf, seine Macke: „Zettl“ wird eine Dialektparade aus deutschen Landen. Harald Schmidt spielt einen Ministerpräsidenten mit schlecht applizierter Glatze, der so stark schwäbelt, dass man ihm bestenfalls ein Kreistagsmandat zutraut. Hanns Zischler spielt einen fränkischen Vizekanzler, noch der letzte Anwalt, der irgendein faules Geschäft abwickelt, sächselt so übel, dass der Milchkaffee sauer wird. Und die Berliner erst! Die Regierende Bürgermeisterin, gespielt von Dagmar Manzel, muss herumblaffen und schnauzen, muss sich mit einem Berlinischen Idiom herumquälen, wie man es in dieser Stadt noch nie vernommen hat. Es treten Spielfiguren einer aufgekoksten commedia dell'arte gegeneinander an.

„Zettl“ ist ja auch eine Komödie, eine Satire auf den politischen Betrieb, die Medienmaschine, das Promi-Gewese. Jedenfalls will der Film all das sein. Es dreht sich, grob gesagt, aber es gibt hier partout nichts Subtiles, um die Kanzlerschaft, weil der Amtsinhaber nach irgendwelchen Exzessen im Sterben liegt. Den spielt Götz George, der sagt aber nicht viel, weil er nichts mehr sagen kann und nichts mehr zu sagen hat, und das tut gut. Vor allem aber dreht sich das Drehbuch von Helmut Dietl und Benjamin von StuckradBarre um das neue Berlin-Magazin nach Art des „New Yorker“, und weil es ein reines Online-Produkt ist, produziert es nicht mehr Klatsch und Tratsch wie einst Baby Schimmerlos in „Kir Royal“, sondern Gossip und Trash.

Das ist jetzt fein beobachtet, schließlich geht es den Zeitungen nicht gut, aber es ist auch „Zettls“ Problem. Die Schimmerlos-Zeiten sind vorbei, nichts mehr mit Abend- und anderen Zeitungsabenteuern. Franz Xaver Kroetz wollte nicht mitmachen, ihm gefiel das Drehbuch nicht, also begraben sie ihn, den Ur-Bayern, in einer schnoddrigen Zeremonie in Berlin. Es ist eine der wenigen komischen, weil ehrlich gefühlten Szenen in diesem ganzen „Zettl“-Kasten-Albtraum. Schimmerlos fehlt. Und von Berlin haben Dietl und Co., trotz jahrelanger Vorbereitung keinen Schimmer. Oder nur einen blassen.

Von der alten Truppe sieht man Schimmerlos’ Freundin Senta Berger wieder und den liebsten Paparazzo der Welt, Dieter Hildebrandt. Sie fühlen sich nicht wohl in Preußen. Senta Berger schaut hinreißend traurig und fliegt zurück nach München, mit Schimmerlos in der Urne, nach heimlicher Exhumierung – nicht die einzige Figur, die ihre Meinung zu dieser angestrengten Lustbarkeit deutlich zeigt. Gert Voss, er spielt den geheimnisvollen, schurkischen Promi-Doktor, verabschiedet seine Rolle mit einem Selbstmord, von ihm hätte man gern mehr erfahren. Er quasselt auch keinen Dialekt und erinnert in seiner melancholischen Intelligenz an Helmut Dietl selbst, den Regisseur, der ohne Baby Schimmerlos keinen Bruder im Geiste mehr hat.

Unvergessen, wie Edgar Selge in Dietls „Rossini“ rausplatzte: „Ich hab’ ein gutes Gefühl!“ In „Zettl“ hat man sehr bald ein sehr schlechtes. Mit „Schtonk!“ und der Story um die Hitler-Tagebücher hat Dietl Hamburg beherrscht, es war eine Sternstunde des deutschen Kinos, aber eben auch eine Geschichte. „Rossini“ und „Kir Royal“ lag München zu Füßen. Die Typen sind da eben so wie im Film, während die Society und all das in Berlin undefiniert bleibt, uneinheitlich. Es gibt hier viele Gesellschaften, vielleicht auch gar keine. Berlin besteht aus vielen Provinzen und Provinzlern, und viele von denen fahren am Wochenende nach Hause, dorthin, wo man all die wunderschrecklichen Dialekte pflegt. „Good Bye, Lenin!“ war eine Ost-Berliner Komödie, „Alles auf Zucker“ eine jüdische. Es geht also. Wenn man weiß, worüber man einen komischen, tragischen, utopischen oder historischen Film machen und wen man verarschen will. „Zettl“ wirft sich auf tout Berlin und landet nirgendwo.

Dabei legt der Film auf Location großen Wert. Man sieht eine düstere Stadt voller Armut, auf der anderen Seite Clubs und Hotelzimmer, OP-Räume, TV-Studios. Die Büros des Online-New-Berliners sind Neubauschrott. Mit dem Sex klappt es selten, die Männer sind notgeil, die Frauen fast alle käuflich, die Politiker korrupt und dümmer, als der Boulevard erlaubt. Das Zentrum der gedachten Hauptstadt liegt in der Talkshow von Sunnyi Melles, die eine drogensüchtige Moderatorin und Strippenzieherin spielt und am liebsten junge Kellner abschleppt. Chauffeur Max Zettl kriegt den Job als Chefredakteur und kommt mit einer Riesenstory heraus, die seinen Geldgeber und dessen Geliebte, die eigentlich ein Mann ist oder ein zweigeschlechtliches Wesen, kompromittiert. Geschlechtsumwandlung, Regierungskrise, Millionenbetrug ...

Beim Versuch, halbwegs anschaulich zu erzählen, was so alles passiert in Dietls von Selbstzweifeln geplagter Offenbarungsshow, verzettelt man sich hoffnungslos. Das ist Stoff für drei Filme, nicht für einen. Und wenn man endlich den ständigen Vergleich, die Frontstellung München-Berlin vergessen hat, kommt Dietl prompt wieder um die Ecke damit. Es muss ihn schwer beschäftigt haben, das Fernsein von der Heimat. Und auf seltsame Weise kommt er nicht an im Berlin von heute. So wie er sich es vorstellt, mit den Riesenbauten, dem Berliner „New Yorker“, so hat sich mancher vor 20 Jahren die Zukunft der Stadt ausgemalt. Einer wollte die deutsche „Washington Post“ hier gründen, andere sahen das Ende voraus, wenn erst die Bonner kämen – aber es ist anders gekommen, ganz anders.

Berlin ist nicht amerikanisch geworden, es boomt mit Kultur und Tourismus, es hat seine Pleiten, seine Skandale, seine S-Bahn, den neuen Flughafen, die Galerie-Sausen und Dauerpartys. Darüber könnte man eine Menge machen, auch Filme. Aber wie blöd ist es, die Stadt gegen Münchner Attacken verteidigen zu müssen. Oder: all die wunderbaren Schauspieler gegen ihre Rollen in Schutz zu nehmen. Dagmar Manzel zum Beispiel: Sie kann alles, sogar Musical. Aber sie kann einem Drehbuch nicht helfen, das mit einer als Kampflesbe aufgemachten Polithexe einen schwulen Regierenden Bürgermeister parodieren soll. Oder vielleicht doch die grüne Herausforderin mit dem markanten Kurzhaarschnitt? Nein, es ist nicht gut so. „Zettl“ macht schlechte Laune. Szene für Szene wird überladen. Alle Ausländer sind Pflegekräfte und Dienstpersonal, der japanische Aktionskünstler ist ein arbeitsloser Schauspieler, der sich Schlitzaugen machen lässt, Hammelhoden vom Türken werden als die retuschierten Geschlechtsteile der falschen Bürgermeisterin in Umlauf gebracht.

Genug? „Zettl“ tischt dick auf, man bleibt hungrig und verliert schließlich den Appetit. Und dann, ganz langsam, baut sich ein Verdacht auf, eine schreckliche Parallele. Mit seinem Staraufgebot erinnert „Zettl“ an ... tatsächlich, an den „Untergang“. Hitler mit Entourage im Führerbunker. Auch bei Dietl geht alles schief, stirbt der Anführer. Neue Armeen sind nicht in Sicht. Der eine oder andere versucht sich abzusetzen. Die Schlagzeilen knallen, fliegen dem TV-Volk um die Ohren. Vor dem Bürofenster zischen Raketen. Ach ja, und die Russen sind auch schon da. Der gute alte Herbie, Dieter Hildebrandt, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, wird von einer augenrollenden Babuschka-Domina mit Pelzmantel und Löwenmähne durch Dietls und Stuckrad-Barres Berlin-Fantasie gefahren, und seine Augen fragen mit leicht verzweifeltem Blick: Wo bitte geht’s zum Bayerischen Hof?

Aus journalistischer Sicht – Dietls beste Filme waren Journalisten-Filme, Zeitungsjournalisten-Filme und Erzählungen – landet Hildebrandt am Ende einen tröstlichen Coup. Erst versteht er die Welt nicht mehr, diesen aufgesetzten InternetJargon, dann bekommt er seine Skandalfotos. Und sieht, wie sie sich online schneller verbreiten, als er sich je träumen ließ. Das Medium verschwindet, die Message lebt weiter. Und so wie Print sich zu Online verhält, jedenfalls in den schlimmsten Befürchtungen, so steht „Zettl“ zur Zeit. Sie ist ihm davongelaufen. Vielleicht schreit Dietls zehn Millionen Euro teurer Film deshalb so laut.

„Zettl“ kommt Donnerstag in die Kinos.

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