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Zeitzeuge. Der einstige Haschrebell Alfred „Shorty“ Mährländer war in den Siebzigern in Heidelberg dabei.

© Salzgeber & Co.

Doku „SPK Komplex“ im Kino: Aus der Krankheit eine Waffe machen

Antipsychiatrie und Terror: Gerd Kroskes Dokumentarfilm „SPK Komplex“ rekonstruiert die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs.

Heidelberg 1970. Die altehrwürdige Universitätsstadt wird von Unruhen erschüttert. Der Uni-Assistenzarzt Wolfgang Huber gerät in Konflikt mit den HochschulHonoratioren, der Obrigkeit und dem Land Baden-Württemberg. Er will die Psychiatrie reformieren und gründet mit gut 50 Mitstreitern das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK). Fakultätsbesetzung, Hausbesetzung, Flugblätter, Straßenkampf: Es soll endlich Schluss sein mit Elektroschocks und Verwahranstalten. Man liest Hegel, Basaglia und Foucault, es gibt Einzel- und Gruppentherapien, Agitationen genannt. Das „System“ macht krank, also gilt es, „aus der Krankheit eine Waffe“ zu machen, so die Parolen. Die Gruppe wächst zwischenzeitlich auf das Zehnfache an, Waffen tauchen auf, zwei SPK-ler gehen zur RAF.

Klassenkampf gegen die Klassenmedizin, die Antipsychiatrie und der Terror: Das Kapitel im Nachklang zu ’68 ist wenig bekannt. Regisseur Gerd Kroske rekonstruiert die Heidelberger Ereignisse aus dem deutschen Vorherbst in seinem Dokumentarfilm „SPK Komplex“ akribisch, behutsam nachforschend. Dennoch gibt es blinde Flecken, Verdrängtes, Erinnerungslücken – Huber blieb auch für Kroske unauffindbar. Mehr als andere seiner Dokus, etwa „Der Boxprinz“ aus dem Hamburger Milieu oder „Striche ziehen“ über eine dramatische Stasi-Geschichte samt Bruderverrat, bleibt dieser Film Fragment, ein Puzzle mit fehlenden Teilen .

Vor der Kamera berichten Zeitzeugen, damalige Mitglieder des Patientenkollektivs, Polizeibeamte, Anwälte, Journalisten. Auch der Richter des Prozesses von 1972 tritt auf, bei dem Wolfgang Huber und seine Frau Ursel ihre Approbationen verlieren und zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt werden – wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Hinzu kommen Zeitdokumente: Tonbandprotokolle von Teach-Ins, SPK-Broschüren, Gerichtsakten, Filmarchivalien, Zeitungsfotos, Radioreportagen.

Meister des geduldigen Zuhörens und beharrlichen Nachfragens

War das Kollektiv eine kriminelle Vereinigung, respektive der sogenannte „innere Kreis“? Wurde es in die Gewalt hineingetrieben? Hier das Gründerzeithaus mit dem SPK, gleich vis-à-vis die Polizeistation: Man observierte und fotografierte sich gegenseitig. Trieb man einander auch in die Aggression, die Gewalt? Der damalige Richter spricht noch heute von Umstürzlern, gar von einem Dschihad – sein Blick auf die Antipsychiatristen hat sich kein bisschen verändert.

Kroske, als Dokumentarist ein Meister des geduldigen Zuhörens und freundlich-beharrlichen Nachfragens, verzichtet auf Off-Kommentare und Inserts mit Namen oder Funktionen seiner Gesprächspartner. Wer die Protagonisten nicht anderweitig kennt, kann sich erst beim Abspann zusammenreimen, dass der Mann auf dem Boot Karl-Heinz Dellwo ist, der distinguierte Anwalt Kurt Groenewold und der Anarcho-Opa mit dem Cartoonhemd Alfred Mährländer – er war in einen Schusswechsel verwickelt, wurde wegen gefälschter Papiere verurteilt.

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Die Absicht ist klar. Kroske möchte Unvoreingenommenheit herstellen, das Patientenkollektiv entkriminalisieren, die Antipsychiatrie und den Terror entkoppeln. Wenn Carmen Roll das Engagement von Huber und Co. für eine humane Psychiatrie verteidigt, wenn sie erzählt, wie wichtig es für sie als Lesbe war, dass Huber ihre sexuelle Identität für etwas Normales hielt und vom Ruch des Krankhaften befreite, hört man ihr anders zu, als wenn gleich ihre spätere RAF-Mitgliedschaft eingeblendet würde. Sie ging nach der Haft nach Italien, arbeitete mit Franco Basaglia in Triest an der Auflösung der „Irrenhäuser“, dort lebt sie bis heute.

Die Frage nach den Ursachen der Radikalisierung stellt sich bis heute

Aber es gab ja einen Zusammenhang, über die zeitliche Koinzidenz und den schlüssig dargelegten Mechanismus der zwischen Staat und Reformern sich hochschaukelnden Aufrüstung hinaus. Warum wurden Carmen Roll und Lutz Taufer, der 1975 am Überfall in Stockholm beteiligt war, militant? Auch Taufer äußert sich im Film. Kroske fragt danach, das wird implizit deutlich – und erhält keine Antwort. Ein Schweigen, das der Film auf seltsame Weise hinnimmt. Man wünschte sich, dass der „SPK Komplex“ diese zentrale Leerstelle deutlicher markierte. Die Frage nach den Ursachen der Radikalisierung in den 70er Jahren – politischen, psychologischen, gesellschaftlichen, persönlichen Ursachen – stellt sich bis heute, trotz Antwortversuchen in Filmen wie „Black Box BRD“ und „Wer wenn nicht wir“ von Andres Veiel.

Wenigstens ein Zeitzeuge schlägt sich sichtlich mit dem unbewältigten, abgründigen „Rest“ des Heidelberger Geschehens herum und formuliert in brüchigen Sätzen die eigene Unschlüssigkeit von damals, das Mitmachen, irgendwie, das Unbehagen von heute. Es ist das Zögern von Ewald Goerlich (SPK-Patient, dann Physiker und Kardiologe), das den Film sehenswert macht, sein beredtes Schweigen, wenn er zurückdenkt, das Suchen nach Worten. Und es ist das Bild einer Zeit, in der die Fronten sich verhärteten und deren Reformen man nicht missen möchte. Man vergisst leicht, welch entsetzliche Zustände in vielen psychiatrischen Kliniken herrschten, nicht nur in Deutschland.

Delphi Lux, fsk am Oranienplatz, Krokodil, Tilsiter-Lichtspiele, Wolf

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