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Kultur: Dorfberaterinnen

Sexuelle Gewalt und Eindeutschungspolitik: Zwei Studien zum Krieg im Osten

So viel ist über die Eroberungs- und Besatzungspolitik des NS-Regimes geschrieben worden, und so viel an Detailforschung bleibt immer noch zu leisten. Zwei Nebenaspekte, ein jeder für sich genommen bedeutend genug, liegen nunmehr aufbereitet vor: Zum einen die Rolle von Frauen bei der Umsiedlungs- und Eindeutschungspolitik im besetzten Warthegau, zum anderen das sexuelle „Zusammentreffen“ von Wehrmachtssoldaten und einheimischer Bevölkerung in der besetzten Sowjetunion.

„In welchem Ausmaß Angehörige von Wehrmacht, SS und Polizei während des Krieges, der Besatzung und der ,Endlösung’ in den besetzten Gebieten der Sowjetunion sexuelle Gewalttaten verübten, lässt sich heute kaum mehr ermitteln“, zieht Regina Mühlhäuser das Fazit ihrer als Dissertation entstandenen Studie. Das ist enttäuschend und ehrlich zugleich, denn dass Krieg mit Gewalt und eben auch sexueller Gewalt zusammengeht, gehört zum Urerbe der Menschheit. Immerhin bleibt festzuhalten, dass es eine konsistente, gar auf Gewaltanwendung abzielende „Sexualpolitik“ deutscherseits nicht gegeben hat, sondern sich die Gewährung erotischer Freiräume – und sei es nur zur Triebabfuhr der Männer – und die Furcht vor hygienischer und „rassischer“ Ansteckung die Waage halten. „Manneszucht“ war ein Wort, das den Landsern gern gepredigt wurde. Geschlechtliche Beziehungen entstanden unterhalb jedweder ideologischen Ebene, im Alltag, der von Hunger, Not und Schiebereien geprägt war. So zitiert Mühlhäuser die bekannte Briefstelle von Heinrich Böll, in der er den Überfluss schildert, der sich dem zahlungskräftigen Soldaten – in Bölls Fall in Odessa – bot. Dass dazu auch erotische Angebote zählten, versteht sich von selbst.

In der Thematik wesentlich enger, vom Ergebnis her jedoch interessanter ist die Studie der in Nottingham lehrenden Historikerin Elizabeth Harvey über „Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik“. Sie zeigt, wie sich Frauen auf freiwilliger Basis in die „Eindeutschung“ besetzter Gebiete einschalten, als Ansiedlungsbetreuerinnen für die nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 aus fernen Ländereien des Ostens in wehrmachtsbesetzte Gebiete verfrachteten „Volksdeutschen“. „Es gelang tatsächlich, mehrere tausend Frauen aus dem Altreich für soziale und pädagogische Aufgaben in den annektierten Gebieten Westpolens sowie später im Generalgouvernement und in den besetzten sowjetischen Gebieten zu gewinnen“, bilanziert Harvey, mit der Einschränkung: „Auch wenn viele nur kurze Zeit im Osten tätig waren und die Gesamtzahl der Rekrutierten nie die Forderungen der Besatzungsbehörden nach reichsdeutschem Personal befriedigte.“ Anhand von Erinnerungen vermag Harvey unvoreingenommen und einfühlsam die ideologisch aufgeladene Tätigkeit der begeisterten Frauen zu schildern – ein Alltagsbild im besten Sinne. Einschließlich der Erfahrung des Scheiterns. So hält eine „Dorfberaterin“ 1944 angesichts des Befehls „Das Siedlungsgebiet ist aufgehoben“ (es wird also geräumt) ernüchtert fest: „1000ende von Menschen haben eine Heimat gehabt u. verlieren sie heute, die Arbeit von all den Menschen hatte keinen Sinn u. der Krieg ist schlimmer als je. Wir redeten vom ,totalen Krieg’ und feierten, wo wir nur still arbeiten sollten daheim im Reich.“

Es sind Studien wie die von Elizabeth Harvey, die unser Bild von der Wirklichkeit des NS-Regimes und des Krieges im Osten plastisch und berührend werden lassen. Regina Mühlhäuser ihrerseits hat sich ein für den Augenblick noch allzu großes Thema gewählt, das mit Detailgenauigkeit erst noch auszufüllen bleibt – vielleicht sogar unter Vermeidung von allzu viel zeitgeistigem Gender-Vokabular, das in der Studie zur Sexualität mit dem Umgangston der Kriegsjahre bisweilen komisch kontrastiert.

Regina Mühlhäuser : Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941–1945. 416 Seiten, 32 Euro.

Elizabeth Harvey: „Der Osten braucht Dich!“ Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik. 479 Seiten, 35 Euro. Beide Bände sind in der Hamburger Edition erschienen.

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