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Der Berliner Cloudrapper Ufuk Bayraktar aka Ufo361 ist mit seinem ersten Album gleich auf Platz Eins in den deutschen Charts eingestiegen.

© Frank Hoensch/Redferns

Bedröhnt erfolgreich: Warum Berliner Rapper andauernd Hustensaft trinken

Früher war Marihuana die bevorzugte Droge im Hip-Hop. Heute rappen Berliner Szenestars über Hustensaft und Xanax.

„Hey, willste Weed kaufen?“, fragt alle paar Meter ein Dealer. Es ist viel los im Görlitzer Park, die Leute trinken Bier vom Späti oder rauchen Joints. „Nein, danke, Bruder“, lehnen abwechselnd YungSmali und seine beiden Begleiter freundlich ab. Die drei sind Teil der DirtySpaceGang, einem Berliner Untergrund-Label, dessen Künstler das machen, was als Cloudrap bezeichnet wird.

Der Begriff leitet sich vom Streamingdienst Soundcloud ab, auf dem viele Rapper ihre ersten selbst produzierten Tracks veröffentlichten. Cloudrap beschreibt weniger einen musikalischen Stil als vielmehr eine gemeinsame Ästhetik: Lo-Fi-Sound, selbst gedrehte Musikvideos, Autotune und simple, repetitive Texte, in denen es vor allem um Sex, Markennamen und Drogen geht.

Die bekanntesten Cloudrapper wie der 2017 verstorbene Lil Peep, Lil Uzi Vert und der Superstar Post Malone tragen gefärbte Haare, Piercings oder Gesichtstattoos. Sie eint ihre Faszination für verschreibungspflichtige Medikamente, allen voran Xanax und „Lean“, ein Mix aus Hustensaft und Sprite.

So auch YungSmali: „Popp’ eine Molly go crazy / Popp’ eine Xany go crazy / Poppe vier Xanax am Tag / Bitches die häng’ mir am Sack / Every day Lean in mei’m Cup“ rappt er in „Go Crazy“. Lean, wegen seiner lila Farbe auch „Purple Drank“ genannt, entstand vermutlich in den 1960er Jahren in Houston als billiges Partygetränk der lokalen Blues-Szene. Xanax wird in den USA sehr häufig als Beruhigungsmittel verschrieben.

Die Drogen erzeugen ein Gefühl von angenehmer Benommenheit, Xanax wird auch als Angsthemmer verschrieben. Beide machen stark abhängig. „Ich kenne einige, die auf Xanax hängen geblieben sind“, sagt YungSmali, während er ein Bier öffnet. „Auch Leute, die das genommen haben, um kreativ zu sein. Jetzt machen sie gar keine Musik mehr, weil sie nicht auf ihr Leben klarkommen."

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Die laxe Verschreibungspraxis führte in den USA zu einer Suchtepidemie

Während in den USA die laxe Verschreibungspraxis vieler Ärzte zu einer nationalen Suchtepidemie geführt hat, ist die Regulierung in Deutschland strenger. Auch die illegale Beschaffung ist schwieriger, hier im Görli kommt man nur schwer an Xanax und codeinhaltigen Hustensaft. „Man muss die richtigen Leute kennen“, sagt YungSmali, „aber man kann das schon kaufen. Notfalls halt nach Polen rüberfahren, da kostet ’ne Flasche Hustensaft fünf Euro.“ Das sei dann aber kein gutes Zeug. „Zurzeit ist es kein Problem, an die Original-Flaschen ranzukommen.“ Die haben allerdings ihren Preis: 237 ml kosten 180 Euro – ein Luxusprodukt.

Xanax und Hustensaft haben es durch den Hip-Hop geschafft, von uncoolen Medikamenten zu zweifelhaften Statussymbolen zu werden. Besangen die Rolling Stones Xanax in den 60er Jahren noch als „Mother’s Little Helper“, nennen Rapper das Medikament heute in einer Reihe mit Gucci-Brillen und Champagner. Die Drogen tauchen nicht nur in den Texten, als Accessoires in Musikvideos und in den sozialen Medien auf. Auch ästhetisch prägen sie den Cloudrap: Auf Covern und T-Shirts findet sich das charakteristische Lila des Hustensaft-Cocktails wieder, in den Songs schwingt der nebulöse Sound eines Drogenrauschs im dunkel verhangenen Schlafzimmer mit.

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Auch im deutschen Hip-Hop ist die Mode längst angekommen. Der Berliner Ufo361, der mit seinem Album direkt auf Platz 1 der deutschen Charts schoss (und gerade vor Tausenden Kids auf dem Lollapallooza gespielt hat), rappt über die Drogen. „Dritte Roli, noch ’ne Patek/ Misch’ das Lean mit Xanax/ Zähl’ die Hunderter / Meine Chains circa 100K“. Der Konsum von Xanax und Lean wird hier mit großem Reichtum assoziiert.

Bisher war Marihuana die bevorzugte Droge im Hip-Hop

Harte Drogen gehören zwar schon lange zum Hip-Hop. Bisher ging es in der Szene aber vor allem darum, sie zu verkaufen – lange war Marihuana die bevorzugte Droge von Rappern wie Snoop Dogg und Notorious B.I.G. Das Dealen war eine Machtgeste oder ein Signet der Straße. Über Sucht, vor allem die eigene, über Absturz und Abhängigkeiten wurde kaum gesprochen. Die Rapper der neuen Generation glorifizieren hingegen ihren eigenen Drogenmissbrauch: mal als Zeichen von Coolness oder Teil der nie endenden Party, die sie ihr Leben nennen. Manchmal auch als Akt von Realitätsflucht und Selbstzerstörung.

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Seinen Tiefpunkt erreichte der Xanax-Trend im November 2017, als Lil Peep starb – nach dem Konsum verschnittener Xanax-Tabletten. Stets war in den Texten von Lil Peep der Flirt mit dem Absturz zu spüren. „Gettin’ high ’cause my life don’t mean shit to me“, heißt es in seinem Song „Angeldust“. Auch für ihn waren die Drogen Statussymbole, die er in Fernsehinterviews oder auf Instagram zeigte. Er benutzte sie aber auch, um seine Angstzustände zu betäuben. Sie gaben ihm Halt im Leben. Die Sucht kann zu einer Ersatzidentität werden. Ein künstlerischer Ausdruck für die vermeintliche Sinnlosigkeit der Welt.

Anarchie und Androgynität

Lil Peep war mit seinem auf die Wange tätowierten Anarchiesymbol, dem androgynen Look, der offen gezeigten Verletzlichkeit im Grunde der Gegenentwurf zu all den glatten, scheinbar perfekten Menschen in den sozialen Medien, deren Leben nur aus Reisen, Fitness und Foodporn-Bildern zu bestehen scheint. Viele Rapper lassen die Welt auch an den Abgründen des Alltags teilhaben. Auch die Jungs der DirtySpaceGang posten Ausschnitte aus ihrem Leben auf Instagram: aus dem Studio oder von Partys mit den typisch roten Plastikbechern.

Die Cloudrapper geben einen ungefilterten, vermeintlich authentischen Einblick in ihr Leben. Im Vergleich zur gephotoshoppten Hochglanzästhetik in den sozialen Medien wirkt die Zerstörung des eigenen Körpers hier wie der Inbegriff des Realen. Die Ironie dabei ist: Sie machen sich mit Medikamenten kaputt, welche die Menschen ursprünglich besser in der Gesellschaft funktionieren lassen sollten. Und überspitzen damit den Selbstoptimierungswahn der letzten Jahrzehnte.

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