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Durch dick und dünn: Kunst als Anlage

Boni für Giacometti und Co.: Die angeschlagenen Banken brauchen Geld – der Nimbus der Kunst wächst.

Da dürften selbst die von Boni verwöhnten Banker gestaunt haben: In gerade einmal acht Minuten vervierfachte vor ihren Augen bei Sotheby’s in London ein schmaler Mann seinen Wert. Ein anonymer Bieter ließ am Donnerstag den Preis für die Skulptur von geschätzten 16 Millionen britische Pfund auf 65 Millionen oder umgerechnet 104,3 Millionen Dollar steigen. Ein Turbo-Bonus, wenn man so will, für ein paar Kilo Bronze namens „L’homme qui marche I“. Und ein neuer Rekord: Noch nie wurde auf einer Auktion so viel Geld für ein Kunstwerk gezahlt.

Knapp 18 Millionen Pfund hatten die Experten des Auktionshauses Sotheby’s für die große Skulptur von Alberto Giacometti (1901–1966) veranschlagt und dabei sehr wohl berücksichtigt, dass kürzlich schon ein anderes Werk des Schweizer Bildhauers einen Rekord aufstellen konnte. „L’homme qui chavire“ kletterte im vergangenen November in New York ebenfalls bei Sotheby’s in ungeahnte Höhen und erzielte mit 19,3 Millionen Dollar das Doppelte des erwarteten Preises. Mit solchen Erfahrungswerten lässt sich natürlich spekulieren, doch vom wahren Potenzial der Skulptur waren am Ende alle überrascht. Die Spezialisten ebenso wie die Vertreter der Commerzbank, denen die fragile Figur zu Geld für ein neues Stiftungszentrum verhelfen sollte.

Auf die Kunst sind die Banker eher zufällig gekommen, und dass sie von ihnen schnell wieder abgestoßen wurde, erzählt einiges über ihre Unternehmenskultur: Dreißig Jahre gehörte Giacomettis Arbeit zur Sammlung der Dresdner Bank. Ein Mitglied des Vorstandes ließ sie damals kaufen: als Symbol für die Verletzlichkeit und Fragilität des Menschen, die Giacometti ein Leben lang thematisiert hat.

Mit der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank wanderte dann auch „L’homme qui marche I“ in neue Hände. Hier, so scheint es, wusste man mit der Sammlung nicht viel anzufangen – und ganz besonders wenig mit einer lebensgroßen Skulptur, die von Schwäche und Ängsten spricht. Weshalb sonst wurden an die 100 Werke etwa von Andy Warhol oder Dan Flavin als Dauerleihgaben an diverse Museen gegeben, die große Bronze aber gleich verkauft? Sie passt schlicht nicht in eine Zeit, in der die Banken nach dem großen Taumel neue Stärke demonstrieren wollen.

Und dann ist da noch das Regelwerk des Marktes. Ein Blick auf die New Yorker Auktion vom Herbst 2009 genügt, um Giacomettis Schreitenden zu einem viel versprechenden Los zu erklären. Dazu sind Häuser wie Christie’s oder Sotheby’s bestens über die Begehrlichkeiten ihrer Kunden informiert. Dass sich gleich zwölf Bieter im Saal und an den Telefonen um die Skulptur stritten und dabei den Preis immer höher trieben, zeigt, wie richtig die Entscheidung war. Erklären lässt sich damit der run auf Giacometti dennoch nicht.

Zieht man die Rekordverkäufe jüngerer Zeit heran, dann taucht neben dem zweiten Guss desselben Künstlers keine andere Skulptur auf. Der Nachlass von Yves Saint Laurent, der Anfang 2009 trotz der Finanzkrise eine gigantische Summe in die Kassen von Sotheby’s spülte, war ungleich glamouröser als jener düstere Staubfänger aus der Frankfurter Konferenzetage. Dafür ist die Bronze, 1961 entstanden, ein exzellentes Werk des Künstlers. Was aber verbindet Giacometti auf der Rankingliste der teuersten Kunstwerke mit Malern wie Jackson Pollock? Sein Bild „No. 5, 1948“ wurde 2006 privat für 140 Millionen Dollar verkauft und gilt seither als teuerstes Gemälde der Welt. Oder mit Pablo Picasso, Francis Bacon und Gustav Klimt, dessen Porträts von Adele Bloch-Bauer ihre Besitzer ebenfalls ohne Auktion für 135 Millionen bzw. 87,9 Millionen Dollar wechselten?

Es gibt keine zwingende Verbindung. Dass der Markt in turbulenten Zeiten auf sichere Werte der Klassischen Moderne oder gar Altmeister setzt, ist bekannt. Und ebenso, wie sehr die Sterne der zeitgenössischen Kunst à la Damien Hirst unter Preisverfall leiden. Die neue Lust an Gemälden und Skulpturen, die wie das Werk von Giacometti über Jahrzehnte gewachsen und dennoch nicht verlässlich zu taxieren sind, lassen eine Hoffung keimen: dass nach den Spekulanten und Renditejägern nun doch jene Sammler kaufen, die ihrem Geschmack vertrauen.

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