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Andris Nelsons.

© Marco Borggreve

Andris Nelsons bei den Berliner Philharmonikern: Ein bisschen blass um die Nase

Gerade hat Andris Nelsons sein Amt als jüngster Chef in der Geschichte des Boston Symphony Orchestra angetreten, nun leitete er das erste Konzert der Berliner Philharmoniker.

Dieser Mann steht mächtig unter Strom. Gerade hat Andris Nelsons sein Amt als jüngster Chef in der Geschichte des Boston Symphony Orchestra angetreten, nun leitet er das erste Konzert der Berliner Philharmoniker nach ihrer New Yorker Konzertreise. Im Frühjahr will das Orchester bekannt geben, wer auf Simon Rattle folgen soll – und Nelsons ist, Boston zum Trotz – immer wieder im Gespräch.

Unterdessen formieren sich die Philharmoniker neu, am Pult des ersten Konzertmeisters gibt Noah Bendix-Balgley sein Debüt, der in den vergangenen Jahren seinen Anteil daran hatte, das Pittsburgh Symphony Orchestra als feinen Klangkörper zu positionieren. Beinahe kann man von Emanuel Ax am Klavier als ruhendem Pol des Abends sprechen, diesem freundlichen, dem Orchester innig verbundenen Musiker der noblen Töne.

Doch für Mozarts Klavierkonzert Nr. 14 in Es-Dur bräuchte es mehr und vor allem anderes als das. Es ist kein Werk der Galanterie, sondern ein Manifest des Eigensinns, ein Stück für Klassik-Nerds. Diese Rolle aber will in der Philharmonie niemand übernehmen. Nelsons zeichnet versonnen Verzierungen in den Luftraum, der Klang bleibt stets poliert und frei von Überraschungen. Ax wird nie aus seiner Höhle des Wohlklangs gelockt, in der er sich zierlich räkelt. Das Ergebnis ist ein ferner Klang, kunstvoll, aber nicht lebensprall, blass um die Nase.

Nelsons lässt den Saal erbeben

Wenn sich ein Pianist die Kopplung mit der Burleske von Richard Strauss zum wiederholten Male selbst aussucht, könnte man schließen, dass dahinter ein besonderer Bekenntniseifer lauert. Doch weit gefehlt: Es dauert, bis Ax sich dem bulligen Klang dieses Jugendwerks wirklich aussetzt. Bis zum Humor, der darin eigentlich aufblitzen und das Ganze im Grunde genommen erst richtig genießbar machen sollte, dringen Nelsons und sein Pianist dann leider nicht mehr vor.

Nach der Pause lässt der Dirigent den Saal erbeben: Die allerersten Töne von Strauss’ Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ mit ihrem körperlichen Bassangriff kostet Nelsons theaterwirksam aus. Doch auf diesem süffigen Fundament bleibt es rutschig. Wollte man den Absonderlichkeiten der Partitur auf die Schliche kommen, müsste weniger die große Tanzgeste regieren als tatsächliche rhythmische Präzision. Strauss selbst erreichte sie mit minimalen Taktstockbewegungen. Zieht man ein Resümee der vergangenen Nelsons-Auftritte, muss das Urteil leider lauten: kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht für Berlin infrage. Bei aller Liebe.

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