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Bücher sind kleine Inseln der Konzentration in einer auf Zerstreuung angelegten Welt. 

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Ein Buch über Bücher und die Zukunft des Lesens: Papiermaschinenpower

So schnell wird das Buch nicht verschwinden, sagt der Leseforscher Matthias Bickenbach. Gerade in der Konkurrenz zu den elektronischen Medien zeigt sich, was es ist und kann.

Von Thomas Groß

Was denn, noch eine Studie zur Zukunft des Lesens? Es scheint doch alles gesagt, mit Forderungen nach iPads bereits in der Grundschule auf der einen und flammenden, im Namen humanistischer Grundwerte geführten Plädoyers für das gedruckte Wort auf der anderen. Buch oder Bildschirm: Die Debatte hat etwas von einem Theaterstück, das bevorzugt zu Buchmessen und Einschulungen neu aufgeführt wird, wobei die Qualität der Argumente oft genug hinter der Lautstärke des Vortrags zurückbleibt. Doch um es vorwegzunehmen: In diese Sparte fällt Matthias Bickenbachs schmales Bändchen nicht.

Als Sprachwissenschaftler kennt er sie natürlich alle, die Digitalevangelisten und Schriftapokalyptiker, die Bibliophilen, die hoffen, nach Aussitzen des Sturms wieder zur Tagesordnung übergehen zu können, und die Pragmatiker, die’s nehmen, wie es kommt. Tatsächlich hat sich jenseits der Lager ein Lesealltag etabliert, in dem die Entscheidung zwischen den Medien situativ fällt: Selbst Bill Gates liest längere Texte erklärtermaßen lieber ausgedruckt, und wer möchte schon seine Bibliothek in den Urlaub mitschleppen, wenn jeder Titel bequem on demand verfügbar ist? Statt sich nun allerdings auf die eine oder andere Seite zu schlagen, tritt Bickenbach erst einmal einen großen Schritt zurück.

Was ist das eigentlich, ein Buch? Fundamentaler könnte die Ausgangsfrage nicht gestellt sein. Eine Sammlung von Blättern, lautete die Antwort der Gebrüder Grimm. Eine Publikation von mindestens 49 Seiten definiert so präzise wie willkürlich die UNESCO. Als gesichert darf gelten, dass das Buch, seit es die priesterliche Schriftrolle ablöste, über mehr als ein Jahrtausend hinweg der zentrale Wissensspeicher der Menschheit war.

Die Bücherdämmerung als Chance

Dass der Verlust seiner Monopolstellung für Verunsicherung sorgt, überrascht da wenig. Man kann die Bücherdämmerung freilich auch als Chance verstehen, und genau das tut Bickenbach: Erst in Zeiten digitaler Herausforderung, so seine These, zeigt sich, was das Buch ist und kann.

Es sind die unscheinbaren, automatisierten Praktiken der Handhabung, die hier neu in den Blick genommen werden. Das Aufschlagen, das Gleiten des Fingers über die Seiten, das Blättern im Textkorpus, das Befühlen des Einbands, der Kaffeefleck auf der Rückseite – alles, was gemeinhin mit dem Begriff Haptik eher bezeichnet als verstanden wird, ist ja in Wahrheit kein Nebeneffekt, sondern genuine Wirkung der „Papiermaschine“ Buch.

Bickenbach fasst Lesen als körperlichen Akt, Zeigefinger, Auge und Text bilden ein Dreieck, das die Navigation durch den Schriftkörper nicht nur erleichtert, sondern erst begründet. Der Vorteil liegt buchstäblich auf der Hand: Bücher machen Wissen greif- und begreifbar, sie sind kleine Inseln der Konzentration in einer auf Zerstreuung angelegten Welt.

E-Books, so buchähnlich sie inzwischen daherkommen, gelingt das nicht annähernd so gut, sie gleichen Simulanten, die Funktionen des traditionellen Lesevorgangs imitieren. Seitenzählung und Kapitelgliederung sind beibehalten, ein Fortschrittsbalken zeigt an, wo man sich in etwa bewegt, doch Wischen ist nicht gleich Blättern: Wo sonst der Finger die Seite berührt, befindet sich bloß eine Schaltfläche mit angeschlossenem Algorithmus. Nicht einmal der Korpus ist der gleiche: Digitale Texte sind Flüssigprodukte, sie lassen sich in jede beliebige Form gießen. Unter funktionalen Gesichtspunkten mag das ein Zugewinn sein, was dabei verlorengeht, ist der Halt, den die Buchseite bot. Elektronische Texte haben die Neigung, sich in der Unendlichkeit des Virtuellen zu verlieren.    

Was bedeutet dieser kleine Leistungsvergleich nun aber für die Lesekultur insgesamt? Am Ende fällt Bickenbachs Urteil salomonisch aus: Für Überflieger der Bildschirm, deep reader bevorzugen das Buch, für das rechte Augenmaß soll eine erst noch zu entwickelnde Ars legendi sorgen.

Wie nah dies am Wunschbild gebaut ist, wäre zu klären, man liest dieses Buch über Bücher am besten als Beitrag zur Versachlichung. Glänzend, auch glänzend geschrieben ist es vor allem da, wo die Einsicht Nietzsches, dass Schreibgeräte an der Verfertigung der Gedanken mitwirken, auf das Entziffern von Texten angewendet wird. Nach zehn Kapiteln geballter Medienanalyse liest man nie wieder so naiv wie zuvor.

Ein Quäntchen weniger überzeugend fallen die Vorschläge zur praktischen Umsetzung aus. Medienkompetenz vermitteln, zweigleisig fahren, die politischen Entscheidungsträger mit ins Boot holen – klingt alles nicht schlecht, aber erzähl das mal einer Grundschullehrerin, die qua Lehrplan dazu verpflichtet ist, eine Horde daddelsüchtiger Elfjähriger in die Freuden des Lesens einzuweihen. Auch hier gilt: Die Idee ist gut, aber die Welt möglicherweise noch nicht bereit. Doch so verhält es sich nun mal mit offenen Prozessen, man weiß bei gleichbleibender Problemlage nie, wie sie ausgehen. Die nächste Debatte kommt bestimmt.

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