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Berit Glanz über digitale Bildkulturen: Wenn hyperglatte Haut und der Schmollmund regieren.

Sie verändern nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern längst die Realität: Berit Glanz hat einen informativen Essay über die allgegenwärtigen Filter-Apps geschrieben.

Als Snapchat 2016 den Hundefilter einführte, postete die US-amerikanische Sängerin Ariana Grande immer neue Selfies von sich mit Hundeohren oder einer knuffigen Schnauze, auf anderen hing ihr eine Hundezunge hechelnd aus dem Mund. Die Reaktionen auf diese Bilder waren überwiegend enthusiastisch; die meisten ihrer Fans fanden die Posts der Sängerin einfach nur niedlich, „cute“.

Andere kritisierten dagegen, Ariana Grande präsentiere sich auf diesen Bildern als „Schlampe“. Wie so oft in den Sozialen Medien kam es zu einer regelrechten Abwertungsspirale, resümiert Berit Glanz in ihrem lesenswerten Essay über den längst alltäglich gewordenen Einsatz von Filtertechnologien. Eine Folge dieser Abwertungen sei gewesen, dass der zunächst wohl unschuldig gemeinte Hundefilter um eine sexualisierte Bedeutungsebene erweitert wurde.

Auf achtzig Seiten resümiert die 41-jährige Literaturwissenschaftlerin und Romanautorin („Automaton“, 2022) ebenso lehrreich wie kritisch die Geschichte bildverändernder Filter: von den Anfängen der digitalen Bildbearbeitung mit Photoshop oder dem fast schon vergessenen Instagram-Vorgänger Hipstamatic bis hin zu heute angesagten Apps wie Wombo oder Prisma, die mit AI-Technologien sogenannte Deepfakes produzieren können, also künstlich erzeugte, aber täuschend echt aussehende Fotos.

Cineastische Wucht

Ging es vielen Userinnen und Usern anfangs vor allem darum, Urlaubsfotos einen nostalgischen Retro-Look zu verpassen, indem man ihnen mit einem Filter für Sepia-Töne die Anmutung von Fotos aus den Siebzigern verlieh, so lassen sich heute etwa alte Aufnahmen in Sekundenschnelle zum Tanzen bringen, um komische Effekte zu erzeugen. Glanzʼ Beispiel ist eine Aufnahme von Arthur Schopenhauer aus dem Jahr 1855, der mit all seiner philosophischen Gravität plötzlich beginnt, „I feel good“ von James Brown zu singen.

Selfies können heute mit wenigen Klicks oder Swipes in impressionistische oder kubistische Bilder verwandelt werden, und natürlich kann man sich nach Belieben älter oder jünger aussehen lassen. Oder „hotter“, mit hyperglatter Haut, Schmollmund und verlängerten Wimpern. Man kann sein Geschlecht verändern, sich mit Pornobrüsten ausrüsten oder gar seine ethnische Zugehörigkeit ändern, rassistische und sexistische Stereotype wie veränderte Nasenformen, Kinn- und Augenpartien inklusive.

Die Allgegenwärtigkeit von Filtertechnologien hat, wie Berit Glanz zeigt, längst Auswirkungen auf die Realität und ihre Wahrnehmung und ebenso auf unsere Identität. Vergleichsweise harmlos ist noch, dass Restaurants Gerichte mit Blick auf ihre „Instagrammability“, also ihre Präsentierbarkeit in den Sozialen Medien, anrichten. Oder dass Touristen die Filterpakete erfolgreicher Reise-Influencer wie Sam Kolder kaufen, dessen „Orange and Teal Effect“ legendär ist, weil dieser Filter fotografierten Landschaften eine geradezu cineastische Wucht verleiht.

Wie verändert es aber den Blick auf das eigene Familienleben, wenn Mutterschafts-Influencerinnen mit visuellen Effekten die Haut ihrer Kinder zum Leuchten bringen und den Eindruck unaufdringlicher, harmonischer Wärme erzeugen? Und wie die Selbstwahrnehmung, wenn sich immer mehr junge Frauen auf Instagram ein künstliches Model-Aussehen verpassen? Es sei längst nachgewiesen, so Glanz, „dass die auf bildlastigen Plattformen verbrachte Zeit negative Effekte auf die eigene Körperwahrnehmung und das Selbstwertgefühl der User*innen haben kann“.

Die Schriftstellerin Berit Glanz

© IMAGO/Frank Peter

Manche Beobachter sprechen gar von einem „Echtzeit-Massenexperiment“ an Frauen und jungen Mädchen. Bis hin zu neuen Krankheitsformen wie der „Snapchat-Dysmorphia“, einer gestörten Körperwahrnehmung mit dem Drang, seinen Körper mittels plastischer Chirurgie dem digitalen Ideal anzupassen. So viel Alarmismus will Berit Glanz allerdings nicht teilen; sie glaubt, dass die meisten Userinnen und User einen ironischen „forensischen Blick“ entwickeln und gelernt haben, Realität und Fiktion zu unterscheiden.

Immerhin hat die Kritik an der zunehmenden Uniformität und ästhetischen Langeweile all der gefilterten, digital optimierten „instagram faces“ längst zu sympathischen Gegenbewegungen geführt: Während des Lockdowns begannen immer mehr Menschen, unter dem Hastag „nofilter“ ungefilterte, ungeschönte Alltagsaufnahmen von sich und ihrem Heim zu posten. Oder ist auch das nur eine Inszenierung?

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