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Kultur: Ein Freund und Förderer

Er brachte die Kunst der Moderne nach Deutschland zurück: Dresden würdigt Will Grohmann.

Es gibt ein berühmtes Foto von der Vorbereitung der zweiten Documenta, die 1959 in Kassel stattfand. Darauf ist der Arbeitsausschuss zu sehen, acht Männer – nur Männer –, in der Mitte der legendäre Documenta-Begründer Arnold Bode und um ihn herum unter anderen Werner Haftmann, Will Grohmann und der junge Werner Schmalenbach.

Diese vier haben das Bild der modernen Kunst nach dem Krieg in der Bundesrepublik geformt. Bode ist als Chef der ersten vier Folgen der Documenta in Erinnerung, Schmalenbach hat mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf das definitive Museum der Klassischen Moderne aufgebaut, Haftmann steht als Autor der immer wieder aufgelegten „Malerei des 20. Jahrhunderts“ noch in manchem Bücherschrank. Nur Will Grohmann, wer war denn das?

Er war der Bedeutendste des Quartetts, ihnen durch seine weltumspannenden Kontakte zu den Künstlern von Dresdner „Brücke“ bis „École de Paris“ um eine ganze Generation unmittelbarer Anschauung voraus. Und doch hat er, der 1887 geboren wurde und in Dresden aufwuchs und 1968 in West-Berlin verstarb, die von heute aus betrachtet geringsten Spuren hinterlassen. Grohmann war Freund der Künstler, ihr Förderer, war Kritiker und Kurator, er war das intellektuelle Zentrum einer Moderne, die in Deutschland, kaum dass sie Fuß gefasst hatte, 1933 ausgerissen und beseitigt wurde. Er nahm als Erster nach dem Zweiten Weltkrieg die von ihm gesponnenen Fäden wieder auf, in Dresden bestückte die erste „Allgemeine Deutsche Kunstausstellung“ 1946 und ging bald darauf in den Westen, weil in der neu gegründeten DDR wiederum kein Platz war für die internationale, nun gegenstandslose Moderne.

Diesem Will Grohmann widmen jetzt die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Lipsiusbau eine Ausstellung, die der Person gilt und doch weit darüber hinaus ein Spiegelbild, ja eine Essenz der modernen Kunst seit der „Brücke“ darstellt. Will Grohmann muss erst wieder in Erinnerung gerufen werden; eine Aufforderung, der in Dresden ein bemerkenswert zahlreiches Publikum folgt. In einem allerdings lebt Grohmanns Name weiter: in dem von ihm gestifteten und nach ihm benannten Preis, der seit 1967 alljährlich an seinem Geburtstag, dem 4. Dezember, bekannt gegeben wird. Der in Berlin lebende Künstler Nasan Tur bekam ihn in diesem Jahr zuerkannt.

Zu sehen sind im Lipsiusbau um die 220 Werke, weltweit zusammengeliehen und doch nicht nur von Grohmanns Urteil gestreift, sondern oft von ihm selbst an Dresdner Sammlungen vermittelt oder gleich von ihm erworben. Dass diese Werke, Hochkaräter allemal, heute so weit verstreut sind, spiegelt den Kulturbruch der Nazi-Barbarei, der alle diese Arbeiten verschleuderte, und macht deutlich, dass allen Bemühungen der vergangenen 60 Jahre zum Trotz, Verlorenes zurückzuerwerben oder zu ersetzen, die ab 1933 gerissenen Lücken nie wieder geschlossen werden können.

Die Ausstellung ist die Frucht mehrjähriger Forschungen der Kuratorin Konstanze Rudert, die zugleich eine zweibändige Publikation, Katalog und Schriften Grohmanns, zusammengetragen hat. Im Ganzen ist sie das Zeugnis einer großen Begabung zum künstlerischen Urteil, der Begabung zur Freundschaft und der Begabung, das Publikum in Bann zu schlagen. Es ist ein großes Geschenk, dass das Guggenheim-Museum in New York Kandinskys „Einige Kreise“ herlieh und ebenso das Museum of Modern Art Klees Gemälde „Um den Fisch“, gleichfalls von 1926. Beide Werke hatte Grohmann an die Dresdner Gemäldegalerie vermittelt. Aus dem Berliner Brücke-Museum kommt Kirchners „Sich kämmender Akt“ von 1913, den Grohmann im Museum Halle kennengelernt hatte. Alle drei Bilder wurden 1937 als „entartet“ beschlagnahmt und verkauft.

Daran erinnerte Grohmanns Kuratorentätigkeit für die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung, die 1946 in Dresden erstmals die verlorenen zwölf Jahre überbrücken helfen sollte. Grohmann durfte dafür mit Sonderausweis durch die Besatzungszonen fahren und insgesamt 594 Arbeiten von 250 Künstlern einsammeln. Innerhalb der jetzigen Ausstellung ist ein virtueller Rundgang durch die damalige Schau zu besichtigen – und einige der damals ausgestellten Werke sind jetzt im Original zu besichtigen.

Auch zu sehen ist allerdings eine Skulptur, die so gar nicht zum Bild des Moderne-Matadors Grohmann passen will: die „Olympia“ von Arno Breker von 1936. Grohmann war wendig genug, trotz wütender Angriffe der Nazis in die Reichskulturkammer zu gehen und weiterhin zu publizieren, auch wenn sein Buch über Klees Zeichnungen sofort beschlagnahmt wurde. Dass Grohmann trotz einiger systemkonformer Artikel seinen verfemten Künstlern die Treue hielt und für sie im Ausland warb, bleibt davon unberührt.

Nach dem Krieg wurde Grohmann zum Verfechter der Gegenstandslosigkeit; dafür bürgt im Lipsiusbau das Großformat Ernst Wilhelm Nays, das „Freiburger Universitätsbild“, das Grohmann 1959 zu einem Hauptstück der zweiten Documenta machte. Vorher hatte sich Grohmann mit Karl Hofer als Vertreter der figurativen Kunst ordentlich gefetzt und dabei in der öffentlichen Wahrnehmung den Sieg davongetragen. Die Kasseler Ausstellung, erstmals ganz der unmittelbaren Gegenwartskunst gewidmet, wurde Grohmanns Apotheose, und entsprechend reich ist die abstrakte und gegenstandlose Kunst in Malerei und Skulptur im Lipsiusbau ausgebreitet. Noch einmal taucht der Besucher so ganz in das ein, was das Gesicht westdeutscher Museumssammlungen auf zwanzig Jahre hinaus bestimmen sollte.

Dresden, Lipsiusbau, bis 6. Januar, Di–So 10–18 Uhr, Eintritt 7/5 €. Zweibändiger Katalog im Hirmer Verlag, 45 €. Mehr Infos unter: www.skd.museum/grohmann

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