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Kultur: Ein Kleid aus Glas, tief dekolletiert

Mit dem „Friedrich Carré“ und mehreren neuen Geschäftsblöcken bekommt das Areal um den Bahnhof Friedrichstraße ein neues Gesicht

Der Oldtimerkorso findet an der Friedrichstraße ausnahmsweise im Saale statt, denn hier setzt der Autohersteller Opel seine Ahnengalerie in Szene. Vorneweg rollt der „Laubfrosch“, ein leichtfüßiger, leuchtend grün lackierter Sportwagen aus dem Jahr 1924. Hinter dem schlanken Flitzer glänzt die Limousine „Olympia“, Baujahr 1935, mit anmutig geschwungenen Kotflügeln, zuletzt schließlich Opas Kadett in der Ur-Version des Jahres 1962. Und mittendrin, als sei es ein Requisit aus einem Fritz Lang-Film, das tiefschwarz lackierte Raketenauto „Rak3“. Dr. Mabuse hätte gewiss seine Freude an dem 300 Stundenkilometer schnellen Vehikel gehabt. An der Friedrichstraße hat Opel ein charmantes Mini-Museum in seiner Hauptstadt-Repräsentanz eingerichtet. Der Anblick der schnittigen Karosserien stimmt wehmütig, denn schweift der Blick aus dem Fenster, ist keine Spur mehr von wohlgestalteten Formen. Gegenüber steht das sogenannte „Friedrich Carré“, das seit kurzem bezugsfertig ist. Das Geschäftshaus-Ensemble nimmt die größere Hälfte des Blocks zwischen Friedrichstraße, Dorotheenstraße und dem Bahnhof Friedrichstraße ein und ist der bauliche Schlussstein von Hans Stimmanns Projekt, das alte Profil der barocken Nord-Süd-Achse wiederherzustellen. Bis nach dem Krieg stand an dieser Stelle das „Wintergarten“-Varieté, als nostalgische Hauptattraktion nicht wegzudenken aus dem Berliner Mythos von den „Goldenen Zwanzigern“.

Nachdem die Berliner Architekten Assmann, Salomon und Scheidt 1999 den Wettbewerb zur Bebauung des Areals für sich entschieden hatten, forderte der Bauherr, eine Immobilien-Tochter des Baukonzerns Züblin, sie auf, weitere Architekten an der Ausführung zu beteiligen. Auf diese Weise wollte man den Käufern Häuser mit individueller architektonischer Handschrift bieten. Was dabei herauskam, belegt einmal mehr, dass in der Kunst „gut gemeint“ das Gegenteil von gut ist. Die Lochfassadenmonotonie, die Senatsbaudirektor Hans Stimmann für berlinische Architektur hält, kombinierte man hier so gedankenlos mit dem Bauherrnwunsch nach maximalen Nutzflächen und properem, aber wahllos kombinierten Werksteinvorhang, dass es sich erübrigt, viele Worte über das Ergebnis zu verlieren. Ein Ärgernis. Dass die Namen stadtbekannter Architekten (Müller & Reimann und andere) auf den Bauschildern standen, macht das Debakel noch größer. Auch das Trio Assmann, Salomon und Scheidt fiel in der Vergangenheit mit respektabler Architektur auf.

Die Architekten entwarfen außer einem Gebäude in der Georgenstraße zwei an der Dorotheenstraße, darunter der markante, mit einem grünlichen Stein verkleidete Eckbau schräg gegenüber dem Dussmann-Domizil. Der unappetitliche Farbton des aufdringlich geäderten Steins unterstreicht die Tristesse der Fassade zusätzlich. Die Mittelpartie des Blocks an der Friedrichstraße statteten die Architekten Becker, Gewers, Kühn und Kühn mit einer gläsernen Vorhangfassade aus, hinter der ein Wintergarten liegt. An beiden Seiten des Lichthofs legt sich die Glaswand in Falten wie ein aufgezogener Bühnenvorhang, was wohl als Hommage an den einstigen Vergnügungspalast gedacht ist. Architektonisch ist das Haus allerdings keine Glanznummer, die vor die Fassade gehefteten Glaspaneele wirken eher wackelig als dynamisch, und insgesamt dominiert der Eindruck einer fahrig hingeworfenen architektonischen Geste.

Am Eckhaus zum Bahnhof Friedrichstraße gingen die Architekten Patschke, Klotz und Partner historisierend zu Werk: Wo irgend Platz war, ließ man Gesimse, Versprünge und Lisenen in das Fertigteilkleid schneiden. Doch aus der Nähe sieht man zentimeterbreite Lücken zwischen den Platten, die die Vordergründigkeit solcher Maskerade unterstreichen. Man muss den federführenden Architekten Assmann, Salomon und Scheidt zugute halten, dass sie dem enormen Nutzungsprogramm durch innovativen Städtebau akzeptable Räume abgewannen: So tritt der Baukörper oberhalb der Sockelzone immer wieder mäanderartig zugunsten tiefer Einschnitte zurück. Auf diese Weise dringt viel Licht in die tiefen Innenräume und es blieb Platz für große Terrassen.

Das ebenfalls erst kürzlich vollendete Gegenüber vom Friedrich Carré heißt „Neues Internationale Handelszentrum“. Das achtgeschossige, vom Düsseldorfer Büro Rhode, Kellermann, Wawrowski (RKW) entworfene Ensemble verbindet das alte Handelszentrum-Hochhaus mit der Friedrichstraße. Es besteht aus zwei nahezu identischen U-Formen, die mit ihrer offenen Seite an das Hochhaus grenzen. Neben Büros und Gastronomie fanden darin ein Hotel, der schon erwähnte Opel-Showroom und einige Wohnungen Platz. Weil die projektleitende Architektin Sorina Olteanu-Schmidt und ihr Team gar nicht erst versuchten, gewachsene Heterogenität vorzuspielen, gelang ein ungleich überzeugenderer Städtebau als vis-à-vis. Zwischen den beiden Halbblöcken liegt eine kleine Plaza, wo man bei einem Cappuccino das Kommen und Gehen im Entrée des Hochhauses verfolgen kann. Es wurde 1978 von japanischen Ingenieuren erbaut. Mit seinem dunklen, von weißen Fassadenhüften breit gerahmten Fensterfeld war der breitschultrige, nüchterne Quader ein rares Beispiel des International Style in der ehemaligen DDR. Schließlich war der Internationalismus, der in der DDR gepflegt wurde, gemeinhin streng antiwestlich. Auch der Appendix des weißen Riesen gibt sich eigentümlich zeitlos, am ehesten erinnert seine aufgeräumte Gradlinigkeit an Geschäftshäuser der frühen Sechzigerjahre. Eleganz und formale Klarheit halten sich die Waage, und das Fugennetz der hellen Kalksteinplatten korrespondiert wie zufällig mit dem Raster-Look des Hauptbaus. Nur an ein paar Stellen trüben allzu mickrige Fenster das Bild.

Den langen Seitenwänden des Gebäudes gab man durch tiefe Fensterlaibungen und weit auskragende Gesimse geschickt räumliche Tiefe und Plastizität. Die Entscheidung des Bauherrn, den alt und neu verbindenden Wintergarten statt in Gebäudehöhe nur in einer geschrumpften Version zu verwirklichen, lässt die kraftvollen Horizontalen der neuen Flügel etwas bedrohlich auf die Glasfront des Altbaus zurollen. Aber es scheppert nicht, alles steht fest, nur ein wenig unvermittelt nebeneinander. Hier entstand großstädtische Alltagsarchitektur im besten Sinne. Ihr Herzstück ist ein schmaler Platz mit Straßencafé, ein urbane Ritze zwischen lauter blinden Blockkanten.

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