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Kunst in der DDR: Ein schweres und doch schönes Leben

„Kunst in der DDR“: Die Neue Nationalgalerie eröffnet einen subjektiven Blick auf 40 Jahre Kunst im Osten

Drei Kunstwerke ziehen die Blicke auf sich: Die beiden Gemälde von A.R.Penck, „Ohne Titel“ (1974), und Werner Tübke, „Weihnachtsnacht 1524“ (1982), sowie Hermann Glöckners Klebebild „Achtfach reflektierter Strahl“ von 1977. Das Trio, frei schwebend unter die Decke gehängt, markiert den Auftakt zur Ausstellung „Kunst in der DDR“ in der Neuen Nationalgalerie, die – bemerkenswert genug – das gesamte Untergeschoss in Anspruch nimmt. Penck ist expressiv, Glöckner konstruktiv, und lediglich Tübke lässt als gegenständlicher Maler, Historienmaler gar, das bekannte Bild der staatstragenden DDR-Kunst anklingen; aber dann ist sein Thema aus der Reformationszeit doch wieder ganz weit weg von allem „Sozialistischen Realismus“.

Ganz weit weg – das ist das Grundmotiv, das die beiden aus der Ost-Berliner Nationalgalerie kommenden Kuratoren der Staatlichen Museen, Roland März und Eugen Blume, ihrer Ausstellung unterlegt haben. Ganz weit weg von der Staatskunst, über die sich nach der deutschen Wiedervereinigung die Gemüter erhitzt haben, vom ersten zaghaften Versuch der Nationalgalerie 1993, einen östlichen Aspekt in ihr westliches Kunstschema einzubauen, bis zum Debakel des Weimarer DDR-NS-Vergleichs 1999. Stattdessen erklärt März selbstbewusst: „Wir stellen nur aus, was wirklich als Kunst gelten darf, und nicht jene Exoten des sozialistischen Kitsches und der künstlerisch wertlosen Propaganda.“

Hoppla! Mit einem Mal sind es also Exoten, die 40 Jahre lang das Kunstgeschehen im Arbeiter- und Bauernstaat bestimmt haben, und die Werke, die sie beispielsweise alle paar Jahre auf der Dresdner „Kunstausstellung der DDR“, dem Gegenstück zur West-documenta, vorstellten, nur mehr wertlose Propaganda? Selbst wenn es so wäre – obgleich es von den Verfechtern der DDR-Kunst aufs Heftigste bestritten würde –, müsste man doch fragen, was jenseits der offiziell geförderten oder zumindest gebilligten Kunst entstehen konnte und entstanden ist.

Das genau ist die Perspektive der mit 400 Werken von 135 Künstlern aller bildnerischen Gattungen reich bestückten Ausstellung, die von heute an geöffnet ist. Ihr Titel spricht geschickt von Kunst in der DDR, nicht etwa der DDR, um sich dem Vorwurf der Unvollständigkeit gar nicht erst auszusetzen. Mit anderen Worten: die Retrospektive spiegelt allein die Sicht ihrer beiden Kuratoren. Sie zeigen, was ihrer Ansicht nach Bestand hat. Doch haben sie nicht einfach Künstler und Positionen ausgewählt, sondern die gesamte, 40-jährige Geschichte in 20 thematisch bezeichnete Kapitel entlang der Chronologie der DDR geordnet; sie belegen Gruppenzugehörigkeiten, ja sprechen von „Schulen“ wie bei den Alten Meistern; sie nehmen die Kriterien Qualität und Dauer mit großer Selbstverständlichkeit in Anspruch. Kurzum: sie handeln im Gestus der Objektivität.

Wer dann im Untergeschoss der Nationalgalerie den vorgegebenen Parcours einhält und am unscheinbaren linken Seiteneingang beginnt, bekommt eine Aufbau-DDR im Kammerton vorgeführt. Gab es denn nach dem Ende des Hitlerreiches nicht die große Geste? Den hehren Antifaschismus? Das Selbstbewusstsein als „Sieger der Geschichte“? Und, dies auch, die naturalistischen Programmbilder im Parteiauftrag, von denen die fünfziger Jahre nur so strotzten?

Nichts davon in dieser Ausstellung. Stattdessen zeigen die Werke einen bangen Blick zurück auf einigermaßen unverfängliche Vorbilder, das tastende Lösen einer langen Starre; auch das Sich-Einrichten in einer lokalen Tradition wie bei Siegfried Klotz’ Bildnis Fritz Löfflers, das den berühmten Chronisten Dresdens in jenem Akademie-Stil festhält, der in dessen Jugendzeit florierte.

Die DDR-Künstler liebten solche Referenzen; sie gaben Sicherheit und ließen die Anforderungen von Partei und gesellschaftlichen Organen abfedern. So konnten denn lokale „Schulen“ wie die Dresdner oder die Berliner ihre machtgeschützte Innerlichkeit entfalten. In Dresden webt eine „Poesie des Alltags“, gefällt sich eine „Peinture Elbflorenz“ – so die Ausstellungskapitel VI und VII –, die noch einmal Montmartre spielt, während in Berlin um Harald Metzkes eine Düsternis der Farben, Formen und Sujets vorherrscht, die man wohl als heroische Melancholie bezeichnen könnte. Nebenbei: Dass Manfred Böttchers Gemälde „Schutthalden“ von 1958 die Ruinen der Reichskanzlei meint, wirft ein Schlaglicht auf das DDR-typische Leiden an der deutschen Geschichte (das Bernhard Heisig später zu seinem Programm erhob).

Erst vor dem Hintergrund einer wahrlich bleiernen Zeit in den fünfziger und sechziger Jahren wird dann jener künstlerische Auf- und Ausbruch verständlich, den die SED unter dem von Generalsekretär Erich Honecker beinahe resignativ geprägten Motto „Weite und Vielfalt“ kaum noch zu steuern, sondern allenfalls zu kanalisieren suchte.

Von solchen Zusammenhängen verrät die Ausstellung nichts. Ob man Kunst ohne ihren politischen Kontext ausstellen könne, fragte Eugen Blume bei der gestrigen Vorbesichtigung rhetorisch. Gewiss doch: „Wir sind ein Haus, das Kunst ausstellt und keine historischen Dokumente.“

Der Dokumente bedarf es nicht, wohl aber der historischen Perspektive. Den Übergang von Ulbricht zu Honecker verstanden die Künstler – wie jedermann – als Öffnung; freilich als Öffnung im und nicht gegen den Sozialismus als Staatsmacht. So fällt denn auf, dass bei den überreich dargebotenen neo-expressiven und neo-veristischen Farbgewittern der siebziger, achtziger Jahre zwar alle Stilvorlagen der Weimarer Epoche durchprobiert werden, die Attacke aber zur bloßen Attitude gerinnt. Je grauer die Tristesse des Lebens im Realsozialismus empfunden wurde, desto bunter und aufmüpfiger gab sich die Kunst – von der seit der Wende bekannt ist, wie umfassend sie in die Ränkespiele der Stasi eingespannt war.

Merkwürdig genug – in der Nationalgalerie behauptet sich der Saal mit der „Leipziger Schule“, diesem offiziellen – und in der Bundesrepublik von „art“ bis „FAZ“ gepriesenen – Exportartikel des Honecker-Regimes mit am besten. Dass die Kuratoren dem Staatsmaler und Multifunktionär Willi Sitte diesen Raum und die Nachbarschaft zu Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke verwehrt haben, obwohl er stets zur west-erprobten „Viererbande“ zählte – das ist kleinlich, wenn auch Sitte stets in Halle lebte und lehrte.

Die Kunstfertigkeit des Manieristen Tübke ist im übrigen selbst in einem Programmwerk wie dem „Brigadebild“ von 1971/72 ein Hochgenuss; oder auch der Studie zu „Arbeiterklasse und Intelligenz“ von 1973, jenem grandiosen und doch in jedem Pinselstrich regimekonformen Wandbild, das seit der Wende in der Leipziger Universität verdämmert.

Insgesamt suggeriert die Ausstellung ein schweres und doch schönes Leben im SED-Staat, einer von gedankenreicher Kunst geprägten DDR, wie sie hätte sein sollen – wenn nur die böse Politik nicht gewesen wäre. Doch so ganz halten die Kuratoren ihre politikferne Sicht nicht durch. Im Schlusskapitel „Utopie und Realität“ führen sie einige Zeitbilder vor, die selbst im Falle von Willi Sittes „Lenin“-Jubelbild von 1969 die Brüchigkeit der Ideologie erkennen lassen. Konfrontiert mit Fotografien von Jens Rötzsch oder Sybille Bergemann zerschellt der Anspruch, die bessere Gesellschaft zu verkörpern – den im übrigen auch die Nischenbewohner des DDR-Betriebs stets hochhielten –, an der jämmerlichen Realität des Alltags. Überhaupt zeigt sich die Fotografie in den Arbeiten auch von Evelyn Richter (Leipzig) oder Ulrich Wüst (Berlin) als die dank ihres Wirklichkeitsbezuges stärkste der Künste.

Ein Gutteil der Ausstellungsstücke stammt aus der Sammlung der Nationalgalerie selbst; etliche Schlüsselwerke kamen als Leihgaben hinzu. Nun legt das aus Ost und West vereinte Haus zugleich sein Bestandsverzeichnis „Kunst in der DDR“ vor, und es ist spannend zu sehen, welche der von der Ost-Nationalgalerie teils selbst erworbenen, teils ihr von staatlichen Stellen zugewiesenen Werke für die gegenwärtige Ausstellung als würdig erachtet wurden. Und welche nicht: So fehlen Horst Strempels pathetisches Triptychon „Nacht über Deutschland“ von 1946, die beiden „Leuna“-Propagandaschinken von Sitte sowieso, aber auch die zwölf Meter lange 1:10-Fassung des „Bauernkriegspanoramas“ in Frankenhausen.

An diesem Rundbild haben Tübke und seine Helfer zehn Jahre lang gearbeitet, der SED-Staat hat es sich eine enorme Summe kosten lassen. Staatskunst? Wohl doch.

Tübkes „Weihnachtsnacht 1524“ oben in der Halle zeigt ein Motiv aus diesem Panorama, das Honecker noch im Herbst 1989 einweihte, um seinem Staat ein Stück künstlerisch veredelter Legitimation zu schaffen. Wer DDR-Kunst zeigen will, kommt an der DDR-Geschichte einfach nicht vorbei.

Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 26. Oktober. Eintritt 7 €, erm. 3,50 €. Katalog im G+H Verlag Berlin, 360 S., 22 €, geb. 36 €. Bestandsverzeichnis im Verlag E.A.Seemann Leipzig, 312 S., 24,90 €, mit CD-ROM 29,90 € .

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