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Kultur: Eis und Stiele

16 junge Autoren erzählen Sommergeschichten

Eiszeit

. 16 Sommergeschichten. Hrsg. von Anvar Cukoski. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2010.

188 Seiten, 8,95 €.

Die beiden Eis am Stiel in den Geschmacksrichtungen Orange und Erdbeer, die das Cover dieser Anthologie zieren, sehen lecker aus, da möchte man am liebsten sofort losschlecken. Ob man allerdings auch gleich loslesen möchte, steht auf einem anderen Blatt: „Eiszeit“ heißt der Band, nun ja, „Sommergeschichten“ verspricht der Untertitel, auweia. Diese Titelei zusammen mit dem zugegeben luftigen, attraktiven Cover verspricht eigentlich nichts anderes als leichte Unterhaltung.

Dem ist aber nicht so: Die sechzehn Geschichten, die der Berlin Verlag bei durchweg jungen Autoren und Autorinnen in Auftrag gegeben hat, spielen zwar im Sommer, manchmal auch an Mittelmeerstränden und in Ferienanlagen, sind aber durch die Bank vielversprechende literarische Erzählungen, die nicht zuletzt zeigen, dass die jüngere deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf.

Selbst bei Leif Randt, der sich scheinbar am vorbildlichsten an die Sommer- und Strandgeschichtenvorgabe des Verlags gehalten hat und von drei Jungs aus Berlin erzählt, die jedes Jahr nach Mallorca fahren, am Strand Orangenlikör aus Eimern trinken und drei Mädchen aus München kennenlernen, findet sich unter der Erzähloberfläche eine Ebene, die die flache Story infrage stellt, sie nicht unbedingt ironisiert, aber doch bewusst durchfloskelt. So erinnert Randts „Die besten Freunde der Welt“ in den besten Momenten an frühe Prosaarbeiten von Thomas Meinecke wie „Mit der Kirche ums Dorf“.

Auch Thomas Klupp, Christiane Neudecker und Janna Steenfatt erzählen von Menschen im Urlaub, vor allem aber davon, wie diese nicht miteinander zurechtkommen, wie sie gerade an Urlaubsorten zu Abstoßungsreaktionen neigen, wie hier Träume ihr Eigenleben führen oder sich die Figuren bewusst gegen Träume wehren. Andere Autoren wiederum nehmen den Sommergeschichtenauftrag nur als Aufhänger für Geschichten, die zu jeder Zeit spielen könnten: Thomas Pletzinger lässt in New York einen erfolgreichen Autoren Reue zeigen, melancholisch werden und um sein Leben fürchten; Florian Kessler ist bei der Todesfeier eines Stahlwerks dabei und beschreibt, was der Abriss für die Region bedeutet; Rabea Edel treibt sich mit ihren Figuren in einem hektisch-brodelnden Rom herum; und Gerhild Steinbuchs Hauptfigur Erwin ist ein durch und durch rätselhaftes Wesen: „Was Erwin mag: Beobachtungen blasser Körper, fiktive gemeinsame Kurzbiografien, Fortsetzungsromane – auch in echt –, Märchenmotive, Fußgänger, schnelle Bewegungen betrachten und so einen Kopfschmerz, dass man nicht mehr weiß, was echt ist und was nicht. Außerdem: Gummibärchen als Zahnersatz und ’Das Atomzeitalter – Vorhof zur Hölle’ (DVD).“

Seltsamerweise lassen sich an den Geschichten schön ein paar Geschlechterklischees festmachen: Die jungen Männer haben es gern zupackend und konkret, sie bevorzugen das realistische Erzählen. Die jungen Frauen dagegen sind verspielter, fein- und hintersinniger, bis zur Unverständlichkeit, wie bei Steinbuch. Bei Anne-Kathrin Heier etwa gibt es im weihnachtlichen New York eine Hitzewelle, zudem bedroht ein geheimnisvoller Stalker die nicht weniger geheimnisvolle Erzählerin; und Luise Boege spielt in ihrer Geschichte „Es“ mit der Sprache und den Dingen, die dann schon mal zu Subjekten werden, so wie die ins Zimmer wehenden Gardinen, die „träge lächeln, ihr Wesen ist das Wesen des Lethargischen, sie selbst finden sich aber ausgesprochen melancholisch.“

Bei Luise Boege ist zudem bisweilen die Rede von Afterworkparties, durchfeierten Nächten und elektronischer Musik, die in diesen Sommergeschichten ansonsten keine Rolle spielen. Die Jugend von heute scheint wirklich schwer an so manchem Liebes- und Unglückslos zu tragen, zumindest die schreibende Jugend. Nur gut, dass Leif Randt sich nicht beirren und alles gut ausgehen lässt: „Und dann küssen wir uns, zuerst ganz vorsichtig, später heftig mit unseren Zungen, während am Horizont die Sonne aufgeht und noch gut ein Liter Bowle übrig ist.“

Trotzdem gilt für diese Anthologie und ihre Beiträger: Hier steht was, hier geht was, hier kann der Auftrag nur „Weiterschreiben!“ lauten. Gerrit Bartels

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