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Kultur: Endkrass

Warum man Berlin nicht entkommt: Joachim Lottmann huldigt in seinem Roman der „Jugend von heute“

Er heißt Johannes Lohmer. Von seinen Freunden wird er nur JoLo genannt. Und wir müssen ihn uns als berlinmüden, insgesamt etwas am Leben verzweifelten Mann Anfang 40 vorstellen. „Ich sagte laut, dass ich dieses finstere Stalingrad nun verlassen würde, noch heute. In meiner Wohnung befände sich nur noch ein gepackter Koffer.“ JoLo ist am Herzen angegriffen. Berlin scheint nur noch eine Stadt für junge Menschen zu sein, und seit dreieinhalb Jahren ist sein Liebesleben eigentlich nicht mehr vorhanden. Aber was erwartet ihn im Rest der Republik? Schon in Tempelhof sei es ja gar nicht mehr auszuhalten, meinen die, die es gut mit ihm meinen. Auch die Berlinflucht hilft also nicht, da das ganze Faserland am Darben und in tiefer Depression gefangen ist. „Die Deutschen sind das unglücklichste Volk der Welt, total vergreist, kraftlos, visionslos ... die Stimmung ist doch exakt so wie unmittelbar vor Hitlers Machtergreifung: völlig im Eimer. Aber es kommt kein Hitler mehr...“

Man kann JoLo nicht über den Weg trauen. Denn Joachim Lottmann, der nicht nur den Spitznamen mit seinem literarischen Geshöpf teilt, ist ein Schaumschläger, lässt Luftblasen steigen, die hübsch anzusehen sind, aber jederzeit platzen können und einen entzaubert zurücklassen. Man merkt dann: alles nur Seife. Seine radikale Subjektivität, sein authentischer Gestus, seine Unbekümmertheit im Umgang mit Klischees, seine irritierende Verletzung so ziemlich aller linksliberalen Tabus, seine vermeintlich harmlos daherkommende Sprache – all das verblüfft immer wieder. Man weiß wirklich nicht, wo bei ihm die Ironie anfängt und der bittere Ernst aufhört. Lottmann bewegt sich seit seinem inzwischen beinahe klassischen Poproman „Mai, Juni, Juli“ von 1988 – auf brüchigem Eis, dreht da seine Pirouetten und bricht zwischendurch auch immer wieder ein. Da macht er dann keine gute Figur. Das wirkliche Leben ist ihm die schönste Erfindung, das Fiktive bleibt immer aufs Engste der Realität verhaftet. Zumindest gibt seine Prosa das vor.

Joachim Lottmanns dritter Roman ist nichts anderes als eine Hommage. An Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht, eine hüftsteife Verbeugung des 1956 geborenen Godfathers der Dandy-Popliteratur vor seinen jüngeren Epigonen. Als Lottmann im letzten Jahr die Popliteratur in einer pompös annoncierten und dann doch etwas bescheiden ausgefallenen Veranstaltung verabschiedete, kündigte er bereits ein seriöseres Werk über das Alter an. Dass er es damit so ernst meinen würde, war damals keineswegs zu ahnen. „Die Jugend von heute“ lautet der von Blumfeld entliehene Romantitel, unter dessen Banner sich der Autor seiner Ratlosigkeit hingibt, ob er nun in Berlin bleiben oder gehen soll.

Johannes Lohmer gibt der Metropole nochmals eine Chance, vor allem aber der Jugend, die immer wieder etwas „aufstellt“, das den skurrilen Ethnologen erheitert und ihm neuen Liebesmut verleiht. So wird dem guten Onkel Jo von der Clique seines Neffen Eli ein ums andere Mal vorgeführt, wie es um die Generation der Twentysomethings heute bestellt ist. JoLo lernt auch junge Frauen kennen, es wird „gebohnert“ oder zumindest übers „Bohnern“ gesprochen oder ein irrer, endlos-traumatischer Viagra-Trip durchstanden. Derweil reiht sich Szeneort an Szeneort. Hier ist die unbekümmerte Spaßgesellschaft noch unverbrüchlich am Werk – mit von der prinzipiellen Perspektivlosigkeit ihres Tuns natürlich schon verschatteter Stimmung. Und einem Problem: „Die von mir so bewunderte und engagierte Jugend von heute war vollkommen krank. Und zwar in einem Ausmaß, das noch keiner vor mir erkannt hatte. Mehr noch: Definierte man Jugend als die Zeit nach der Kindheit und vor der Berufstätigkeit, so gab es seit den 90er Jahren gar keine Jugend mehr. Keiner erreichte mehr postpubertäre Reife. Ich war der letzte lebende Teenager.“ Und ein bisschen prägnanter: „Unsere Kultur, also die Jugendkultur, war erkenntnisimmun. Alle Körper waren knackig, und alle Gesichter waren die von Kindern.“ Eine Jugend also, die gar nicht richtig Jugend ist, metrosexuell durch ihre endlose Party stolpert, und vor allem: niemals endet. Eine Horrorvorstellung.

Als letztem lebendem Teenager bleibt JoLo nichts erspart: neue Wunderdrogen ebenso wenig wie das endlose Geplapper von Mirandas, Saphias, Gabrielas, Bibas und diversen Julias, Besuche im Münchener Harem von Rainer Langhans (dem Lottmann alias Lohmer einen gnadenlosen Schauprozess macht). Es sind einzelne Episoden, die zusammengehängt, manchmal auch zusammengestückelt werden. Aber es ist witzig, zumindest passagenweise. Die Jugend wird skeptisch („Die Jugend von heute war auf der ganzen Welt gleich“) und mit zunehmender Bewunderung betrachtet („Warum nur war die deutsche Jugend so sexy, sah so fantastisch aus, die Jungs so athletisch und männlich, die Mädchen alle bauchfrei und supercool? In Mitte waren von zehn entgegenkommenden Frauen acht unter 30, und sieben davon waren direkt einem MTV-Clip entstiegen“). Am Ende will der Erzähler wieder in Berlin leben, weil es da doch „endkrass“ ist. Es ist eine Entscheidung für die Jugend von heute. Überhaupt für die Gegenwart.

Dann aber verschwindet Neffe Eli, das große, ewig adoleszente Vorbild, und plötzlich wird dem Erzähler klar, dass dies seine Chance sein könnte, in Würde erwachsen zu werden. Da endet das Buch. Vielleicht ist ja der nächste Roman von Joachim Lottmann doch ein richtiger übers Alter, ein Alterswerk, so wie „Die Jugend von heute“ ein wunderliches, albernes, banales und hochcharmantes Buch über die Angst (einer Gesellschaft) vorm Älterwerden ist.

Joachim Lottmann: Die Jugend von heute. Roman. Kiepenheuer und Witsch. Köln 2004. 320 Seiten. 8,90 €

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