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Gewalt und Protest. Polizisten bei einer Demo Ende Mai in New York.

© Platt/AFP

Erinnerungen an Amerika: Unterwegs mit Cops in den USA

Unser Autor war Anfang der 1980er Jahre Korrespondent in den USA - und erlebte schon damals massiven Rassismus bei der Polizei.

Der Autor war zwischen 1980 und 1983 Korrespondent der „Zeit“ und des „Spiegels“ in Washington und in Kalifornien.

In amerikanischen Polizeiautos habe ich mindestens 30 Stunden als Journalist zugebracht, in New York, in Atlanta und in Los Angeles. Als Reporter auf dem Hintersitz oder als geduldeter Auslandskorrespondent neben dem Fahrer. Ein junger Cop in New Yorks South Bronx bedauerte, dass seine nächtliche Tour im Distrikt des seinerzeit fernsehberühmten Reviers „Fort Apache“ so außerordentlich ereignislos blieb. Seinem Kollegen in Atlanta steckten noch die Schrecken seiner Kriegsjahre in Vietnam in den Knochen.

Er war ein ehemaliger Green Beret, und deren Auftrag war es seinerzeit, zu sechst auf Patrouille im vietnamesischen Dschungel nach Vietcong zu suchen. Die warteten aber schon auf sie. Nun glitt er in seinem Dienstwagen mit mir durch die Ghettos von Atlanta. An seiner rechten Wade hing ein Holster für eine zweite Dienstpistole unter der Hose. Er war weiterhin auf der Spur von Vietcong, nur hießen sie für ihn jetzt „Nigger“.

Es waren die Monate im Jahr 1980, in denen ein Serienmörder in Atlanta das Leben von mehr als zehn jugendlichen Schwarzen auf dem Gewissen hatte. Als er schließlich gefasst wurde, stellte sich heraus, dass es sich um einen homosexuellen Afroamerikaner handelte, nicht älter als 25 Jahre. Wäre es ein Weißer gewesen, hätte Atlanta gebrannt.

Limousinen glichen rechtsfreien Räumen

„Mein“ kalifornischer Cop in Los Angeles war ein über 40-jähriger Latino, der mit mir in einer Sommernacht im Jahr 1983 in einen Park in Downtown fuhr, in dem ungewöhnlich viele junge Männer herumstanden. Er hielt an, sprach einen vielleicht zwanzigjährigen Weißen an, fragte ihn, was er hier treibe und wo er wohne. Dann forderte er ihn in fast väterlichem Ton auf, nach Hause zu gehen und stieg wieder ein. Diese Ausstellung angestrengter Mäßigung, so viel verstand ich, galt der Demonstration homophober Pädagogik für die ausländische Presse. Wir fuhren weiter.

Der nächste Halt galt einem Hospiz; das Polizeipräsidium hatte kurz nach Mitternacht einen Notruf weitergeleitet, es war kalt, vielleicht zehn Grad. In der Ecke eines Schlafsaals mit zehn sterbenden Greisen krakeelte ein Mann hinter einem Vorhang. Er war betrunken. Zwischen den Betten standen verängstigte Nachtschwestern aus dem Fernen Osten. Inzwischen waren andere Polizeiwagen angekommen, und vier Cops überwältigten den ungewöhnlich großen Mann in seinem Bett.

Hatte ich Angst vor diesen Gesellen? Zweifellos.

Er hatte ein blaues Krankenhaushemd an, das offen im Rücken klaffte. Er protestierte laut, als ihn die Polizisten in einen schnell herbeigeschafften Rollstuhl drückten. Sie fixierten ihn an beiden Händen mit Handschellen an dem Gefährt und rollten ihn auf die Straße. Dann schlossen sie ihn mit einem weiteren Paar Handschellen an eine Parkuhr an und fuhren weg. „Mein“ Cop rief die County-Feuerwehr von Los Angeles an: „Sie haben ihn hier abgeliefert. Das durften sie nicht. Holen sie ihn wieder ab.“ Die Fahrt ging weiter. Hatte ich Angst vor diesen Gesellen? Zweifellos.

Der Polizist in Los Angeles war ein treuer Vertreter seiner gewerkschaftlich organisierten Ordnungstruppen; ihre schweren Limousinen glichen rechtsfreien Räumen auf Rädern. Als der schwarze Angelino Rodney King bei einer Festnahme wegen Geschwindigkeitsüberschreitung 1991 von mehreren weißen Cops völlig grundlos zusammengeschlagen wurde, lief die heimliche Kamera eines Nachbarn mit. Ein Jahr später sprach ein Gericht die rassistischen Täter frei, und in Los Angeles brachen schwere Unruhen aus. Ein Stadtteil brannte lichterloh. So ging es weiter, Jahrzehnt um Jahrzehnt bis heute.

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