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Der peruanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa bei der Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals 2020 im Kammermusiksaal der Philharmonie.

© Annette Riedl/dpa

Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals: Mario Vargas Llosa singt ein hohes Lied auf die Literatur

Fundamental, wichtig, aufklärerisch: Mario Vargas Llosa hält bei der Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals eine etwas schlichte Rede.

Es ist schon ein Ereignis an diesem frühen, düster schwülwarmen Berliner Abend, wie der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa die Bühne des Kammermusiksaals der Philharmonie betritt und ans Rednerpult geht; ja, es ist ein Ereignis, ihn überhaupt einmal live zu sehen und seine Rede zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals Berlin zu hören, Gut sieht er aus mit seinen 84 Jahren, er trägt einen dunkelblauen Anzug und eine rote Krawatte. Selbst der Stock, den er braucht, wirkt elegant.

Mario Vargas Llosa ist ein Literaturstar, nicht bloß eine lokale Berühmtheit, sondern einer, den die ganze Welt kennt, nicht nur die Literaturwelt. Sein Leben kann man getrost als schillernd beschreiben. Wozu gehört, dass er vor ein paar Jahren seine Ehefrau Patricia verließ (mit der er fünfzig Jahre verheiratet war), um mit dem Ex–Model Isabel Preysler zusammenzukommen, der Ex-Frau von Julio Iglesias und Mutter von Enrique Iglesias.

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Vargas Llosas literarisches Werk hat nicht weniger Schillerndes: ambitionierte totale Romane einerseits, großartige Werke, mitunter dünne, öde, gerade in der letzten Dekade verfasste und erschienene andererseits, darunter die vermutlich unter dem Einfluss des plötzlichen Beziehungswechsels geschriebene Altherrenphantasie „Die Enthüllung“.

Vargas Llosa ist überdies fleißiger Kolumnist und auch Essayist, der wiederum nach dem Roman „Die Enthüllung“ im vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Sammlung mit autobiografischen Essays veröffentlich hat, „Der Ruf der Horde“. Darin porträtiert er kurz Größen des historischen Liberalismus wie Adam Smith, José Ortega y Gasset, Friedrich Hayek, Karl Popper, Raymond Aron, Isaiah Berlin und Jean-François Revel, und darin zeichnet er mit diesen Vorbildern seine eigene Entwicklung vom Marxisten zum Wirtschaftsliberalen nach.

"Literatur ist für schwierige Zeiten gemacht"

Insofern ist die Erwartung durchaus hoch, dass Vargas Llosa eine gute, interessante Rede hält. Über Literatur wolle er sprechen, hebt der in Madrid lebende Peruaner an, denn: „Literatur ist für schwierige Zeiten gemacht“. Es folgt von ihm ein langes, hohes Lied auf die Literatur, auf die Macht der Literatur, die zwar gerade in letzter Zeit häufig nur aus Vergnügen in Anspruch genommen werde, die dem Entertainment diene. Die aber doch viel mehr ein Mittel sei, um Unzufriedenheit und die Sehnsucht nach Freiheit zu artikulieren, mit der sich Utopien verwirklichen ließen.

Vargas Llosa geht ganz weit zurück zu den Anfängen des Menschens, da nicht zuletzt Geschichten, das Erzählen von Geschichten das Leben erträglicher machten; er erwähnt die dreihundert Jahre, die der lateinamerikanische Kontinent gerade unter der spanischen Kolonialherrschaft ohne Romane auskommen musste, bis 1816 der Journalist und Schriftsteller José Joaquín Fernández de Lizardi mit „El Periquillo Sarniento“ den ersten lateinamerikanischen Roman überhaupt schrieb: "Wir konnten in Lateinamerika nie richtig gut zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden, zwischen Fiktion und Geschichte". Und er verweigert sich dann, konkreter die Literatur der Gegenwart zu bemühen, außer dass gerade Diktaturen die Literatur immer fürchten, und zwar "zu Recht".

Die Gesellschaft muss mit Literatur "durchtränkt" werden

Immerhin: Die Pandemie streift der peruanische Schriftsteller kurz, die „Arroganz“ und „Hybris“ der Menschheit, um schnell wieder zur Literatur zurückzukommen, zur Literatur die „fundamental“ sei, die dazu in der Lage sei, „das Unmögliche möglich zu machen“. Und überhaupt: Man müsse die Gesellschaften regelrecht mit „Literatur durchtränken“.

Vargas Llosas Rede ist eine doch schlichte, voller schöner Behauptungen steckende, in manchen Teilen arg redundante. Auch nur einen einzigen Beleg für die Strahl- und Sprengkraft der Literatur liefert. Mario Vargas Llosa nicht.. Man fragt sich, warum er keine originelle, aussagekräftige oder einfach nur schöne Geschichte aus seinem Leben erzählt; warum er so gar nicht bereit ist, aus dem eigenen Fundus zu schöpfen.

Wie schreibt er es in seinem großartigen Buch über Flaubert und Emma Bovary, unter dem bejahenden Verweis auf Oscar Wildes Spruch, der Tod von Balzacs Figur Lucien de Rubemprés sei „das größte Drama“ seines, Wildes Lebens:„Eine Handvoll literarischer Gestalten hat mein Leben nachhaltiger geprägt als manches Wesen aus Fleisch und Blut, das ich gekannt habe.“

Dass diese Prägung, diese Macht der Literatur nicht zuletzt eine politische ist, davon wollte Vargas Llosa sprechen. Am Ende weiß man sicher: Literatur ist wichtig. Davon geht man auf einem Literaturfestival allerdings aus, das wusste man schon vorher.

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