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Der einflussreiche Minimal-Music-Komponist Julius Eastman erfährt erst posthum seine verdiente Würdigung.

© Andrew Roth/Berliner Festspiele

Eröffnung Märzmusik: Schellen im Schnee

Hypnotisch: Das Eröffnungskonzert der Märzmusik feiert Minimal-Music-Komponist Julius Eastman.

Licht aus, Spot an: Mitten im Publikum steht Sofia Jernberg auf, beginnt alleine zu singen, zu performen, das ist bei den Kompositionen Julius Eastmans sowieso ununterscheidbar verschmolzen: „Saint Margarete said ...“, „Saint Michael said ...“. Immer und immer wieder, ein fallendes Intervall, eine ostinate Tonfolge, die sich schnell ins Hirn bohrt, interpretiert mit bronzenem Timbre. „Prelude to the Holy Presence of Joan d’Arc“ heißt das Stück, Hommage an eine Kämpferin, die ja bekanntlich von Heiligen aufgefordert wurde, Frankreich zu retten. Vokalmusik, die – wie fast alles an diesem Abend im Haus der Berliner Festspiele, der das Festival Märzmusik eröffnet – in den USA sehr selten und bruchstückhaft, in Deutschland noch nie zu hören war. Eastman (1940–1990) gilt als einer, der Minimal Music eine Seele gegeben hat, aber seine Geschichte ist dramatisch: Er starb alleine, obdachlos, alkoholkrank in einer New Yorker Klinik; seine Werke sind bis heute nur Eingeweihten ein Begriff.

Frontale Aufführung

Dass Märzmusikchef Berno Odo Polzer nach 2017 erneut einen ganzen Eröffnungsabend mit Eastmans Musik gestaltet, ist eine schöne Pointe des Festivalschwerpunkts „Zeit“ (Polzers These: verschiedene Zeitlichkeiten wirken auf uns ein und bekriegen sich), verlängert er doch quasi die Wiederbegegnung mit Eastmans Musik auf ein ganzes Jahr.

Anders als beim letzten Mal, als Künstler wie Zuhörer in lockerer Lounge-Situation gemeinsam die Bühne bevölkerten, ist das Konzert jetzt wieder traditionell frontal ausgerichtet. Jernbergs Gesang, ein Präludium, geht direkt über in „Holy Presence of Joan d’Arc“, zehn Cellos spinnen die Strukturen weiter (Leitung: Anton Lukoszevieze). Dann: „Gay Guerilla“, ein 15 Minuten langer unablässig treibender Rhythmus, Geflecht dynamischer Höhepunkte und meditativer Strecken, geschrieben für vier Klaviere. Dieses Jahr ist das Stück in einer Version von Dustin Hurt für 16 E-Gitarren zu hören, geleitet von Seth Josel. Die perkussive Härte der Klaviere hat einem elektronisch weichgezeichneten Klangbild Platz gemacht, in das sich die Melodie von Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ einwebt, die protestantische Hymne, die Eastman zur Signatur des schwulen Befreiungskampfes umdeutete.

Die Intervalle geraten ins Tanzen

Nach der Pause diversifizieren sich die Instrumente deutlich aus, in Klavier, Vibrafon, Keyboard, zwei Geigen, zwei Flöten, Cello. „Buddha“ und „Femenine“ heißen die beiden Stücke, die das Ensemble Apartment House aufführt. Ein Trip ins Reich schillernder Klangfarbenreibungen, karg erst, dann zunehmend bunter, exaltierter. Als „Femenine“ beginnt, kommen Schellengeräusche vom Synthesizer hinzu, wie sie ein Schlitten im Schnee macht; auf ihrer Basis wiederholt Perkussionist Simon Limbrick die immergleiche Motivfolge am Vibrafon. Pulsierende, hypnotische Musik, bei der die Intervalle schließlich ins Tanzen geraten, aus der Eastman ganze Klangkathedralen errichtet – und das Hören wird zusätzlich magisch aufgeladen von dem Bewusstsein der Einzigartigkeit: Selbst in den USA dürfte es höchstens eine Handvoll Aufführungen dieser Stücke gegeben haben. Eine fragmentarische Aufnahme bei YouTube aus den 70er Jahren legt nahe, dass die Schellen damals schneller, zackiger rausgehauen wurden. In Berlin klingt es ruhiger, reifer. Bevor man sich noch fragt, wie Eastman aus den Loops wieder heraus- und zum Schluss findet, ist es vorbei, der Trip tröpfelt aus mit Klavier und Synthesizer, das Publikum selbst erklatscht sich das Ende. Über 70 Minuten hat diese zweite Hälfte gedauert, in der die Zeit auf hübsch paradoxe Weise sehr spürbar wird und sich zugleich aufhebt.

Das Festival läuft bis zum 25. März. Infos: www.berlinerfestspiele.de

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