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Dirigent Lothar Zagrosek leitete das Eröffnungskonzert

© Christian Nielinger

Eröffnung des Ultraschall-Festivals: Auf einmal ist der Engel da

Im Großen Sendesaal des RBB startet das Berliner Ultraschall-Festival 2023: Es geht um Marias Schwangerschaft und die Schönheit einer Bohrmaschine.

Natürlich sind Aufführungen Neuer Musik Spezialistenveranstaltung, die ohne staatliche Förderung kaum möglich wären. Andererseits, war es nicht schon immer so, auch zu Bachs, Mozarts, Wagners Zeiten, dass ohne den Fürstenhof oder wohlhabende Gönner die Bedingungen zur Entstehung von Musik einfach nicht gegeben sind? Schubert, der ein Leben lang an der Armutsgrenze komponierte, wäre ein Gegenbeispiel.

Der Saal ist erfreulich voll

Wie auch immer, am Mittwoch, zur Eröffnung des diesjährigen Ultraschall-Festivals von RBB und Deutschlandfunk, ist der Große Sendesaal im Haus des Rundfunks jedenfalls erfreulich voll, darunter viel mehr junge Gesichter als bei „regulären“ Symphoniekonzerten. Und: Das Konzert wird zu guter Sendezeit live im Radio ausgestrahlt. So möchte man sich kaum Sorgen machen um die Zukunft der zeitgenössischen Musik.  

Zumal nicht angesichts der ersten beiden starken Stücke. Liza Lim, in Perth als Tochter chinesischer Einwanderer geboren, hat sich Maria vorgenommen, die von Christen als Gottesmutter verehrt wird, allein das ist schon interessant. „Mary/Transcendence after Trauma“ ist der Mittelteil eines Triptychons über sagenhafte Frauenfiguren, der Besuch des Verkündigungsengels wird quasi als Stream of Consciousness geschildert, komplett aus der Perspektive Marias.  

Es beginnt damit, dass Daniel Vlashi Lukaci, der junge Konzertmeister des Deutschen Symphonie-Orchesters, sich ein Gerät an den Brustkorb hält, das seinen Herzschlag hörbar macht, offenbar ist das Kind schon unterwegs. Dann satte, langgezogene Streichertönen. Sie suggerieren Gefühl, Erwartung, Ahnung und werden strukturiert von Bläsern und Schlagwerk, kulminierend in einem gewaltigen Tutti: der Auftritt des Engels? Soll man überhaupt ein Programm in dieser Musik suchen, oder einfach nur konzentriert zuhören?

Dann schneidet Lothar Zagrosek am Pult – der sich sehr um Neue Musik verdient macht, siehe seine legendäre Aufführung von Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an der Deutschen Oper – den Klang mit einer Handbewegung einfach ab, und Schluss.  

Die Streicher reiben mit Joghurtgläsern auf den Saiten

Carola Bauckholt will mit ihrem vor zehn Jahren uraufgeführten Stück „Brunnen“ für Cello und Orchester Geräusche auf den musikalischen Gehalt untersuchen und nimmt sich dabei Jean Pauls literarische Technik des Heranzoomens und Loslassens zum Vorbild. Die Streicher reiben mit (natürlichen leeren) Joghurtgläsern auf den Saiten, was einen froschquakenden Klang ergibt, die Harfe muss laut Partitur eine ganz konkrete Zahnbürste benutzen, und zwar „Sonic Power Ultraschall“ (sic!). Dazu gibt es Einspielungen vom Band, unter anderem eine Bohrmaschine, Solistin Séverine Ballon bezeichnet sie im Gespräch mit Co-Festivalleiter Andreas Göbel als „wunderschöne Bohrmaschine“. Recht hat sie. Das Ergebnis ist voller Bewegung, Drive, Rhythmus, 15 sehr anhörbare Minuten lang.  

Dafür, dass es sich mit dem Kürzesten beschäftigt, ist das letzte Werk des Abends mit 30 Minuten ganz schön lang. Rund 50 Monadologien (abgeleitet von Leibniz‘ Lehre von den kleinsten Einheiten) hat der Wiener Komponist Bernhard Lang geschrieben, die siebte von 2009 trägt als mehrsätzige Kammersinfonie die Widmung „Für Arnold“ –sie basiert auf den vier Hauptthemen von Arnold Schönbergs 2. Kammersinfonie, die Lang mittels Loops und Wiederholungen unters Brennglas legt. Als Hörer kommt aber Missmut auf, man weiß nie, was von Schönberg ist, was von Lang. Es bleibt in der Summe das schwächste Stück dieses Eröffnungsabends, der ansonsten ein kräftiges Plädoyer ist für die Musik unserer Gegenwart. 

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