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Ein Segment der Berliner Mauer im litauischen Freilichtmuseum "Europos Parkas".

© dpa

30 Jahre Mauerfall: Es gab nicht nur die Stasi

Viele Fragen, schweigende Eltern: Warum es Nachwendekindern schwerfällt zu verstehen, wie der Alltag in der DDR war.

Während Zeitungen und Nachrichten dieser Tage voll sind von Geschichten aus der DDR und der Zeit des Mauerfalls, mag es in einigen Familien doch noch so aussehen: Die altbekannten Anekdoten werden erzählt, aber darüber hinaus herrscht Schweigen. Der Opa bei der Stasi, der Vater bei den Grenzsoldaten, die Mutter in der SED? Besser nicht darüber reden, das kann alte Wunden aufreißen und neue Gräben ziehen.

Vor etwa drei Jahren hat der im Mauerfall-Jahr 1989 geborene Journalist Johannes Nichelmann es bemerkt: dass das große Schweigen über die DDR und die eigene Vergangenheit in diesem Land nicht nur in seiner Familie herrscht, sondern auch in vielen anderen. Die DDR, das war für ihn lange „ein vierzig Jahre andauernder Sommerausflug an den See oder ein niemals enden wollender Aufenthalt im Stasi-Knast“.

Zwischen diesen Extremen gab es nicht viel. Auch, weil seine Eltern wenig darüber redeten. So schreibt es Nichelmann in seinem Buch „Nachwendekinder. Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“.

Nachwendekinder, das sind für ihn in erster Linie die zwischen 1985 und 1992 in Ostdeutschland geborenen. Nichelmann hat einige von ihnen begleitet, die wie er eine biografische Leerstelle spürten. Und eine seltsame Verbundenheit mit einem Land, das sie weder wirklich kennengelernt hatten noch aus eigener Anschauung kennenlernen können.

„Es ist nicht so, dass einige der Eltern schweigen, weil sie nicht reden wollen. Sondern weil sie darauf warten, gefragt zu werden“, sagt Nichelmann. Doch das Nachfragen kann schwierig sein: „Ich bin für meine Eltern ja auch westsozialisiert.“ Daher glaubten sie, ihm nicht klarmachen zu können, was sie damals bewegte.

In seinem Buch beschreibt er, wie er trotzdem das Gespräch suchte und mehr erfuhr. Und er beschreibt, was andere Nachwendekinder erlebten, die den Mut aufbrachten, genauer nachzufragen. Die Eltern dieser Kinder haben ihre Erinnerung an die DDR lange vergraben. Darauf angesprochen fühlten sie sich zur Rechtfertigung gedrängt.

Dabei geht es den in Nichelmanns Buch beschriebenen jungen Menschen, alle Ende 20 / Anfang 30, nicht um Schuldzuweisungen: „Es geht darum zu verstehen, wie die Eltern wurden wer sie sind“, sagt er. Außerdem werden mit den Gesprächen die empfundenen eigenen biografischen Leerstellen gefüllt.

Vom Sozialismus lernen

Mehr als einmal wird in dem Buch deutlich, dass die deutsche Erinnerungskultur und die dominanten Erzählungen über die DDR den Prozess der innerfamiliären Aufarbeitung nicht gerade erleichtern. Zu sehr bleiben diese in einfachem Opfer-Täter-Denken verhaftet. Was es bräuchte, damit sich das ändert?

„Es muss im Schulunterricht ein großes Thema werden. Wenn wir die DDR verstehen wollen, müssen wir den Sozialismus verstehen, den Marxismus, den Leninismus. Auf die Lehren zu schauen, auf denen das Ganze fußte, würde sehr zum Verständnis beitragen“, so Nichelmann.

[Johannes Nichelmann: „Nachwendekinder. Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“. Ullstein, 270 Seiten, 20 €.]

Auf die Suche nach Ost-Biografien haben sich nicht nur Nichelmann und die von ihm Porträtierten gemacht. Alle zwei Jahre schreibt die Körber-Stiftung den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten aus und ruft Schüler*innen in ganz Deutschland dazu auf, in ihrem familiären Umfeld oder in ihrer Region auf historische Spurensuche zu gehen.

Die Wettbewerbsbeiträge können nicht als statistische Größe, wohl aber als Gradmesser dienen: In den letzten drei Ausschreibungsrunden gab es jedes Mal weit über hundert Beiträge zum Thema DDR/deutsch-deutsche Geschichte.

Neues Interesse an der Geschichte

Es ist ein Aufwärtstrend: In den Runden davor behandelten nur etwa 50 Arbeiten dieses Thema. Das Interesse an der DDR-Geschichte ist unter den jungen Wettbewerbsteilnehmern also steigend. „Außerdem“, sagt Christine Strotmann, die für die Stiftung ein Projekt zu den Nachwendekindern betreut, „kann man ganz klar einen Trend hin zur Alltagsgeschichte erkennen“.

So finden sich unter den Beiträgen der aktuellen Wettbewerbsrunde Arbeiten zum Umgang mit lesbischen Frauen oder Gehörlosen in der DDR. Ein Schüler hat die Geschichte seines adeligen Opas aufgearbeitet, dessen Gut in Brandenburg kurz nach Gründung der DDR enteignet wurde. Es sind Geschichten, die jenseits von ewigem See-Urlaub oder Stasi-Knast liegen.

So wie die, die Nichelmann schildert. Er selbst möchte weder für eine Generation sprechen noch sieht er in Gesprächen mit den Eltern allein die Lösung. Aber er plädiert dafür, Motivationsgeschichten mehr Raum zu geben: „Warum haben Leute an das geglaubt, an das sie geglaubt haben?“ Wie bei ihm könnte das helfen, mehr als altbekannte Anekdoten erzählt zu bekommen.

Anna Thewalt

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