zum Hauptinhalt
Joan Baez am Sonntag in Berlin.

© Eventpress Hoensch

Joan Baez in der Zitadelle Spandau: Es ist nicht vorbei, Baby

Folk-Legende Joan Baez verabschiedet sich in der ausverkauften Zitadelle Spandau von ihrem Berliner Publikum.

Die meiste Zeit ist die Musik so leise, als läge sie unter einer Glasscheibe – dem Glas von Joan Baez’ Stimme. Baez ist 77 Jahre alt, ihre Stimme ist eine ganze Oktave dunkler geworden. Diese Höhen, die einem einst direkt in die Eingeweide schnitten, klingen nun stumpfer. Und in den Tiefen, da ist das Glas leicht verkratzt. Aber insgesamt – und das ist es eben – ist das Baez’sche Glas immer noch derart geschliffen, dass man sogar verzaubert ist, wenn sie „Der Mond ist aufgegangen“ singt, und dass man bei „It’s All Over Now, Baby Blue“ mit den Tränen kämpft.

Joan Baez ist auf großer, internationaler Abschiedstour. Und nun also in der ausverkauften Zitadelle Spandau. Ausnahmsweise ist der Ort bestuhlt. Das Publikum sitzt, bewaffnet mit Fächern, in einem lichten Berliner Sommerabend. Es klatscht nach jedem Song, und es klingt wie Regen. In Interviews hat Baez – die derzeit wohl berühmteste Folk-Sängerin der Welt und Ikone der Counterculture – erzählt, dass nach ihrer nun fast 60-jährigen Bühnenerfahrung ihr aktuelles Album „Whistle Down the Wind“ vielleicht nicht zwingend ihr letztes Album ist. Vielleicht habe sie irgendwann doch nochmal Lust, etwas aufzunehmen. Aber ganz sicher sei diese Tour nun ihre letzte. Denn sie ist zu erschöpft fürs Reisen, fürs Singen fast jeden Abend. Aber man kennt das von Musikern und Musikerinnen im respektablen Alter: Zum letzten Mal treten sie gern häufiger auf.

Bei den ersten Songs, „Don’t Think Twice, It’s Alright“ von Joan Baez’ ehemaligem Lebensgefährten Bob Dylan und „God Is Good“ von Polit-Country-Sänger Steve Earle steht die Sängerin ganz alleine auf der Bühne – in schwarzer Hose vor schwarzer, quasi nichtexistenter Kulisse, mit bordeauxfarbener Bluse und wie immer mit ernster Baez-Miene. Nach jedem Song bedankt sie sich, entweder mit Worten oder mit Gesten, die Hand hoch in der Luft zum Gruß geformt. Die kaum sichtbare blaue Bühnenbeleuchtung spiegelt sich in den Metallbeschlägen ihrer Gitarre.

Spaß an makabren Geschichten

Zu „Whiste Down The Wind“, dem Titelstück des neuen Albums, bekommt Joan Baez perkussive Verstärkung von ihrem Sohn Gabriel Harris. Der mehrfach Grammy-prämierte Bluegrass-Musiker Dirk Powell begleitet sie mit Geige und Banjo – „welcome to my big orchestra“. Die junge Sängerin Grace Stumberg aus Buffalo unterstützt sie erst sachte in den Strophen, dann singt sie auch alleine. Baez hat Spaß daran, die leicht makabre Geschichte ihres neuen, von Josh Ritter für sie geschriebenen Songs „Silver Blade“ zu erzählen, bei dem es um einen Mord aus enttäuschten Gefühlen geht. Das Publikum lacht. Vielleicht hätte es sich eher das weniger satirische „Silver Dagger“ gewünscht.

Kurzes Gelächter auch, als Baez die Türkei für deren Einwanderungspolitik lobt, die ja so viel besser sei als die ihres Heimatlandes USA. Für die schwedische Studentin, die durch ihr Stehenbleiben im Flugzeug die Abschiebung eines Menschen nach Afghanistan verhindert hat, singt sie „The Times Are A-Changin’ “. Kindness, also Freundlichkeit, das wäre es, was wir nun brauchen, sagt sie. Und stimmt Woody Guthries „Deportee“ an, einen Song über die missglückte Deportation mexikanischer Gastarbeiter, der erschreckend aktuell klingt. Es folgt ein relativ neuer Song, der wiederum erschreckend inaktuell klingt,  „The President Sang Amazing Grace“ über Barack Obamas Gospel-Gesang in der Kirche von Charleston 2015, in der ein Weißer neun Schwarze erschossen hatte. Baez interpretiert ihn auf dem Album „Whistle Down the Wind“, er stammt von der Sängerin Zoe Mulford.

Einfach immer nur weiter gehen

Ihr reguläres Set beendet Joan Baez mit „Gracias A La Vida“. Zuvor erzählt sie noch von einer 107-Jährigen, die sie backstage bei einem ihrer Konzerte in Großbritannien besuchte. Die alte Dame habe ihr gesagt, sie solle sich nicht über ihr Alter beklagen, sondern weiter gehen. Einfach immer nur weiter gehen.

Zum Abschied nimmt Baez ihre Musiker in die Arme, verbeugt sich. Und das Publikum begreift, dass Aussitzen jetzt vielleicht nicht die Beste aller Möglichkeiten ist. Zaghaft, aber dann doch entschlossen, steht es auf, geht die Gänge nach vorne zur Bühne und klatscht, bis die Sängerin mit Lennons „Imagine“ und Simon & Garfunkels „The Boxer“ zurück auf die Bühne kommt.

Joan Baez ist die Einzige, die diese Songs covern darf, ohne dass es abgeschmackt wirkt. Plötzlich wird getanzt und mitgesungen. „Sehr schön“, freut Baez sich Deutsch, „fantastisch“. Warum eigentlich ist man so lange auf den Stühlen sitzengeblieben? Das Leben ist zu kurz, um es auf Möbeln zu verbringen.

Julia Friese

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false