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Kultur: Es kommt ein Schiff geladen Endlich wieder Godard:

„Film Socialisme“

Schon 1985 hatte der „Spiegel“ ihn als „welkes Genie“ geschmäht. Jetzt ist ein weiteres Vierteljahrhundert vergangen und der 80-jährige Jean-Luc Godard präsentiert mit „Notre Socialisme“ einen Film, der kein bisschen müde wirkt, wenn auch ein wenig zu altersweise. Der rund um das Mittelmeer angesiedelte und in technischer Topform mit opulenten Bildkaskaden und virtuosen Toncollagen aufgeladene Essay huldigt der großeuropäischen Universalgeschichte ebenso wie der Medienkritik und ist mit ansehnlichen Vertretern globaler Fauna geschmückt. Wobei Godard nicht Godard wäre, wenn er seine Katzenbabys nicht fremdsprachig meckern ließe.

Auch sonst geht es in der Trilogie polyglott zu: Zuerst („Des choses comme ça“) mischen sich grobgepixelte Bilder einer Kreuzfahrt-Vergnügungsreise mit Spielszenen um Nazis, Banker und verschobene Millionen. Das zweite Kapitel („Quo vadis Europa“) begibt sich nach Frankreich, wo die Kinder einer Tankstellen-Familie – begleitet von einem postkolonialem Lama – von ihren Eltern die Ideale der französischen Revolution einfordern. Der Schlussteil („Nôtre Humanités“)l mäandert sich zitatensatt durch die Welt-, Geistes- und Filmgeschichte und ist – der Filmtitel deutet es an – infiziert von den gescheiterten Revolutionen der letzten Jahrhunderte.

Montiert ist diese Collage aus höchst disparaten Zutaten, die der Meister und sein Team zu einem bei aller ästhetischen Vielfalt erstaunlich kongruenten Ganzen fügen – wie üblich bei Godard mit Zwischentiteln kommentiert. Besonderes Augenmerk hat der Videotechnik-Afficionado, der hier zum ersten Mal in HD-Digital arbeitet, auf die raffinierte Integration unterschiedlicher Materialien gelegt, Verfremdung inbegriffen: Das geht bis zur künstlichen Bildstörung. Die mysteriösen Untertitel in sogenanntem Navajo-Englisch, die bei der Premiere in Cannes 2010 das Publikum verstörten, sind in der deutsch untertitelten Fassung aber normalen Sätzen gewichen.

Anders als die anderen späten Filme Godards, als „Notre Musique“ oder „Eloge d’amour“, versucht „Film Socialisme“ hierzulande einen regulären Filmstart. Wo er bislang zu sehen war, wurde er entweder als enigmatisches Elaborat eines Greises kritisiert oder als cineastische Offenbarung bejubelt. Richtig an beidem ist wohl das Grunddilemma Godards: Nach der Popularität seiner früheren Werke, allen voran seines Erstlings „Außer Atem“ und seiner Klassiker „Weekend“ oder „Die Verachtung“, hat sich Godard zunehmend vom Filmgeschäft isoliert und sich ein eigenes Bilder-Universum gebaut, das ebenso reichhaltig und komplex wie widerständig ist. So gibt auch dieser Film seine Geheimnisse wohl erst nach mehrmaliger Anschauung preis. Man kann „Film Socialisme“ dennoch schon beim ersten Sehen genießen – als kunstvoll gebautes und austariertes Filmgedicht, das eigene Denkbewegungen provoziert. Ein bisschen Lust an der Dechiffrierung bildungsbürgerlicher Scharaden sollte der Zuschauer dabei schon mitbringen.Silvia Hallensleben

OmU: Brotfabrik, Lichtblick

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