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Kultur: Ewige Nacht

„Warten auf Godot“ im Schlossparktheater

Der Beginn ist Dunkelheit, Musik, dann erringt das Licht den Sieg, wenigstens für einen Abend. Da ist auch schon der wackelige Werner Rehm als Gogo, der versucht, sich die Schuhe auszuziehen. Alles wie gehabt, möchte man meinen, doch wenn „Warten auf Godot“ am Schlossparktheater gespielt wird – selbst wenn es ein Gastspiel des Ernst Deutsch Theaters Hamburg ist –, dann schwingt da mehr mit: 1953 erlebte Becketts Stück hier in Steglitz seine deutsche Erstaufführung – eine Inszenierung, die Beckett selbst übrigens nicht gefallen haben soll. Regisseur Gerd Heinz möchte weg von den Interpretationsansätzen der letzten 60 Jahre, weg vom Absurden, von der metaphysischen Obdachlosigkeit, hin zur konkreten Verortung. Und zitiert den Theaterkritiker Valentine Temkine, der zu dem Schluss kam, Wladimir und Estragon müssten Juden sein, die in Südfrankreich auf der Flucht vor den Nazis sind. Und Godot ein Schleuser, der sie über die Grenze führen soll.

Heinz belässt es dann doch beim Schwebenden, nagelt das Stück nicht fest und beraubt es damit nicht seiner Universalität. Eine Verortung findet höchstes durch die flüchtigen Wand-Kreidezeichnungen statt, die an eine Landkarte erinnern. Dazu ein rätselhafter Fels- oder Holzklotz mitten auf der Bühne.

Ansonsten bleibt Heinz nah dran am Stück, nichts anderes war im Schlossparktheater zu erwarten. Charles Brauer und Werner Rehm als Wladimir und Estragon im verschlissenen Anzug: Zwei Tänzer über dem Abgrund, gemeinsam alt geworden, fast wie Brüder. Brauer geht aufrechter, denkt klarer und schneller, während Rehms Estragon fahrig und tatterig ist. Der Kopfmensch und der Bauchmensch. Fantastisch: Uwe Friedrichsen als Pozzo. Knallrote Jacke, wächserne Pergamenthaut, röhrende Stimme, klare Diktion. Ein Platzhirsch, Sadist, Kolonialherr, Kapitalist und Zirkusdirektor in einem, Zentrum des ersten Aktes. Benjamin Utzeraths Lucky ist ein zur Pflanze mutierter Mensch mit langen Haaren und roten Augen, eine Macht, die im Verborgenen lauert und dann ausbricht, im langen Monolog.

Eigentlich Hauptdarsteller aber ist: die schwarze Bühne, die Dunkelheit, in die wir, kaum geboren, sogleich zurückkehren. Pozzo sagt es: „Sie gebären rittlings über dem Grabe, der Tag erglänzt einen Augenblick und dann von neuem die Nacht.“ Es gibt keine Zeit, Fortschritt ist eine Illusion, die wir brauchen, um nicht zu verzweifeln, der Erlöser kommt nicht, und was wir für das Leben halten, ist nur eine kurze Unterbrechung der Nacht. Dagegen anzuspielen, dem Abgrund das Menschsein zu entreißen, das gelingt Brauer und Rehm an diesem Abend. Bis beide endlich gehen wollen und doch stehen bleiben, in der Dunkelheit, aus der sie gekommen sind. Udo Badelt

Wieder von 10.–13.9., 20 Uhr

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