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Der gebürtige Kosovare Xhafer (Mišel Maticevic) fühlt sich in Deutschland nirgendwo zugehörig.

© Komplizen Film

Drama über Alltagsrassismus: "Exil" verfängt sich in einem Labyrinth aus Vorurteilen

Xenophobie oder Paranoia? Regisseur Visar Morina entwirft mit seinem zweiten Spielfilm das Porträt eines komplizierten Mannes, der seine Opferrolle annimmt.

Von Andreas Busche

„Wenn du anders aussehen würdest, fände ich dich verständlicher“, meint Nora zu ihrem Mann Xhafer, als sie abends in der Küche stehen. „Arabisch oder so.“ Doch rein äußerlich geht Xhafer als Deutscher durch; dass er aus dem Kosovo stammt (oder Kroatien? Serbien? Ein Running Gag, den Regisseur Visar Morina sehr pointiert einsetzt), hört man erst daran, wie er beim Sprechen die Konsonanten leicht zerdrückt. Vielleicht gibt es auch einen anderen Grund dafür, dass die Kollegen im Büro ihn schneiden, merkt Nora spitz an. „Kann ja sein, dass sie dich menschlich nicht mögen.“

Die Grenzen zwischen Ressentiment und persönlicher Beleidigung bleiben unscharf in Visar Morinas zweitem Spielfilm „Exil“, in der Ehe wie am Arbeitsplatz. Es sind Bemerkungen wie die Noras, von Sandra Hüller mit unnachahmlich angriffslustiger Lakonie gespielt – und damit das komplette Gegenteil von Mišel Maticevic, in dessen versteinerter Miene kaum eine emotionale Regung zu erkennen ist –, oder wenn Xhafer wieder mal aus dem E-Mail-Verteiler im Büro fliegt, die das Verhältnis des Pharma-Ingenieurs zu seiner Umwelt justieren.

Oft befinden sich seine Gesprächspartner im Off oder unscharf im Bildhintergrund. Ihre Sätze, meist beiläufig, manchmal auch freundlich bevormundend, treffen ihn wie aus einem Hinterhalt. Obwohl Xhafer ständig auf der Hut ist. Seit er in Deutschland lebt, noch dazu in einer anonymen deutschen Reihenhaussiedlung, nimmt er hinter jeder Bemerkung Fremdenfeindlichkeit wahr. „Deine Frau schlägst du auch nicht? Du bist ja ein ganz Integrierter“, macht er sich über das Bild der Deutschen über den Mann vom Balkan lustig.

Kamerafahrten durch enge Bürogänge

Xhafer sieht seine Paranoia bestätigt, als am Gartentor eine tote Ratte hängt. Die Tiere werden in seiner Firma zu Testzwecken gebraucht, jetzt hat sie jemand in seinem Garten entsorgt. Einige Tage später brennt vor der Haustür auch der Kinderwagen seiner Tochter. Einer der Polizisten, die die Sachbeschädigung aufnehmen, macht gegenüber Xhafer einen blöden Witz, dem platzt schließlich der Kragen.

Alle haben sich gegen ihn verschworen. Sein Kollege Urs (ein farblos-aasiger Rainer Bock) enthält ihm wichtige Forschungsergebnisse vor, seine Schwiegermutter kann es ihm nicht verzeihen, dass ein „Kanake“ (O-Ton Xhafer) ihre Tochter geschwängert hat.

Äußerlich bleibt „Exil“ einem kühlen Stoizismus verhaftet. Diszipliniert vermisst Kameramann Matteo Cocco die klaustrophobischen Bürogänge, durch die sich die Angestellten selbst wie Ratten in einem Labyrinth bewegen – oder in denen sie im Halbdunkel zu lauern scheinen. Manchmal muss sich Xhafer, der eine Rattenphobie hat, regelrecht an den Tierkäfigen im Flur vorbeizwängen. Durchgeschwitzte Hemden und schwefelgelbes Licht sind die ästhetischen Markierungen dieses sehr deutschen Betriebsklimas, in dem man sich viel auf seine kulturelle Diversität einbildet. Und dann dem Kosovaren im Team Standing Ovations spendiert.

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Morina, der wie Xhafer im Kosovo geboren wurde, hat ein feines Sensorium für die kognitive Dissonanz in der Eigen- und Fremdwahrnehmung seiner Hauptfigur. Er entlarvt den latenten Rassismus nicht empört, sondern beobachtet mit abwartender Ironie, indem er die Szenen immer wieder in Richtung Schmerzgrenze antippt.

Und zeigt dabei, was dieser „unsichere“ Status mit einem Menschen anrichtet: Auf der Arbeit fühlt sich Xhafer unsichtbar, Nora wiederum, die sich neben den drei Kindern auch noch um ihren PHD kümmert, beschwert sich darüber, dass er wie ein Gespenst im Haus herumläuft.

Xhafer ist immer „der Andere“

Morina, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ist in seinen Beobachtungen des Sozialverhaltens aber präzise genug, um Xhafer nicht vollends in die Paranoia kippen zu lassen. Ob gute oder schlechte Absicht, ist letztlich irrelevant, wenn die Sekretärin ihn fragt, ob er Schweinefleisch isst – oder er beim Geschäftstreffen mehrmals seinen Namen wiederholen muss. Die sozialen Normen seines Umfeld kennzeichnen Xhafer immer als „den Anderen“.

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Erschwerend kommt hinzu, dass Xhafer selbst ein komplizierter Charakter ist. Er hat eine Affäre mit einer albanischen Putzfrau, dem einzigen Menschen in der Firma, der seine Sprache spricht. Doch so bewusst er sich der eigenen Nicht-Zugehörigkeit ist, erkennt er nicht seine Privilegien gegenüber der Putzhilfe, die ihn für eine Aufenthaltsgenehmigung um Hilfe bittet.

Xhafers wachsende Paranoia belastet auch die Beziehung zu seiner Frau Nora (Sandra Hüller).

© Komplizen Film

Die Deutschen wollen ihn nicht und mit seinen Landsleuten möchte er möglichst nichts zu tun haben. Es sei denn für eine schnelle Nummer auf der Toilette. Nora wirft Xhafer im Streit „Mickrigkeit“ und Narzissmus vor. „Wenn du eine Frau wärst, würdest du deine Brüste machen lassen.“ Er kapituliert mit Sarkasmus: „Nichts gegen große Brüste.“

Pochen unter der Schädeldecke

Die Anspannung unterstreicht Morina mit einer metronomischen Tonspur, wie ein Pochen unter der Schädeldecke – oder eine tickende Zeitbombe. Noch das kleinste Geräusche ist in der Wahrnehmung Xhafers überhöht, bis selbst das Brummen der Milchpumpe zum Unruhefaktor wird. Der domestizierte Alltag Noras zwischen Kindererziehung (das Wohnzimmer wird von einem Zelt in Beschlag genommen) und Studium fungiert in „Exil“ auch als Kommentar zur fragilen Männlichkeit.

Weil Morina seine Mittel sparsam einsetzt, wirkt „Exil“ umso erdrückender. Xhafers mühsam aufrechterhaltene Selbstkontrolle schnürt dem Film die Luft ab. Dass Morina Xhafers Perspektive einnimmt, ist dabei so konsequent wie klug. Als man spät realisiert, dass der möglicherweise nicht der verlässlichste Erzähler ist, ist man bereits mit den eigenen Ressentiments konditioniert.
In 13 Berliner Kinos (auch OmU)

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