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Kultur: Expo 2000: Für alle Sinne

Auf der Expo ist es ein bisschen wie früher in der DDR: Wer etwas haben will, muss eine Menge Geduld haben. Viel Zeit geht beim Schlange-Stehen vor den Eingängen von Themenparks und den Pavillons drauf.

Auf der Expo ist es ein bisschen wie früher in der DDR: Wer etwas haben will, muss eine Menge Geduld haben. Viel Zeit geht beim Schlange-Stehen vor den Eingängen von Themenparks und den Pavillons drauf. Unnütze Zeit. Man steht sich einfach nur die Beine in den Bauch. Das ist die Regel. Mexiko ist die Ausnahme. Dort ist das Warten kurzweilig, ja informativ. Zu verdanken ist das einem grauhaarigen Herrn in einer blauen Uniform, der sich ganz höflich den Harrenden vorstellt. Er sei eigentlich für die Sicherheit des Pavillons zuständig, aber die Mexikaner hätten ihn gebeten, etwas darüber zu erzählen, was einen denn so im Innern erwartet. Und das macht der freundliche Mann recht unterhaltsam. Er schwärmt von einer 3D-Fahrt durch Mexiko-Stadt, von Antiken, vom Restaurant, von der Ausstellungsarchitektur. Das macht Lust auf mehr - und vertreibt die Langeweile. Viva Mexiko.

Über die Expo zu laufen ist wie durch Fernsehprogramme zu zappen. Überall blinkt und zoomt und leuchtet und flimmert es. Ein wenig Mensch, kaum Natur, viel zu viel Technik. Kanada zum Beispiel: Auf dem Boden Bildschirme, an den Wänden Monitore, und überall plätschert Wasser so seicht dahin wie die Performance selbst. Der Besucherfluss spült einen in Marokko, Halle 17, an Land. Vor einen riesigen Holzkasten. Mit allerlei buntem Zeugs. Das Kind in der Frau erwacht. Zuerst die Pfefferkörner durch die Hand rieseln lassen, wie Sand am Strand von Essauira. Daran riechen. So würzig wie ein Targine-Gericht im Keramikteller. Rosenblätter, die duften nach dem Markt in Meknes. Henna - so rot wie die Ledergerber-Brühe in Fes. Und Ras El Hanut, Zimtduft aus den Gassen von Marrakesch. Nur Pfefferminz fehlt, und der schwere Geruch von süßem Tee. Das Thujaholz mit Gewürzen und Kosmetik kehrt morgen wieder zurück nach Rabbat. Viele wollten ihn haben, aber die Marokkaner winken ab: Nein danke, schukran. Sinnlichkeit ist nicht käuflich.

Der Schweizer Pavillon war unser Freund: Wie ein Stück Käse lag er da, appetitlich und durchlöchert. Der Wind pfiff durch alle Ritzen dieses nach außen hin offenen, aus unzähligen miteinander verschränkten Holzlatten bestehenden Hauses. Aus den türenlosen Durchgängen traten immerzu Eidgenossen, die auf fahrbaren Xylofonen Tongut aus Berg und Tal verbreiteten, auch Schifferklaviere kamen zum Einsatz. Der Pavillon war ein kleiner Irrgarten. Im Innern weder Kühe noch Almdudler, nicht mal Wilhelm Tells Nummernkonten, stattdessen schwyzerisches Gedankengut an der Wand und ein Kaffee-Shop. Hier passierte 37 Minuten nach jeder vollen Stunde dies: Die Bedienung verharrt für zwei Minuten in der Bewegung, beim Darreichen des Kaffees, beim Reden, Flaschenöffnen, Kassieren - die Zeit steht plötzlich still. Wie beruhigend das sein kann - und wie anstrengend.

Ob sich Thomas Mann und Marlene Dietrich in der Gesellschaft von Dr. Motte wohl gefühlt hätten, wird die Geschichte zeigen. Der deutsche Pavillon war in mancher Hinsicht enttäuschend: der Hinterhoffilm war kein Spiegel der deutschen Emotionen, sondern ein Hänger. Auch die Reise ins 21. Jahrhundert war nicht wirklich packend, die Kulissen wirkten billig. Sehr schön war die Afrika-Halle, ein bisschen wie ein großer Basar. Auch die Ausstellung über den Menschen war ganz interessant. Zu viele wolkige, oft unverständliche Worte haben die Expo schon im Vorfeld begleitet. Das erinnerte an die Sprachergüsse orientierungsloser Manager, die sich von wildgewordenen Trend-Gurus coachen lassen. Bei der nächsten Expo sollten sich alle Beteiligten zwingen, immer nur in klaren Worten zu sagen, was sie wollen und was geboten wird. Dann werden viele, die die Welt nicht von eigenen Reisen kennen, weite Anfahrten nicht scheuen, um einen Spaziergang durch ein künstliches globales Dorf zu unternehmen.

Der Christus-Pavillon von Meinhard von Gerkan setzte in Hannover ein modernes Zeichen gegen den kontinuierlichen Verfall der christlichen Kirchen. Inmitten der lauten Disney-Welt lud er die Menschen zur Einkehr. Ein besinnlicher Kreuzgang mit Fenstern, in denen Symbole der Tradition und der Moderne, wie Mohn und Spritzen, Sinn und Licht geben, das an alte Kirchenfenster erinnert. Kleine Höhlen, in denen die Ohren von gregorianischen Gesängen erfreut werden. Eine Nische als symbolträchtige Tauschzentrale, als Ort des Gebens und Nehmens. Ein großer, leerer Kirchenraum über einer wundersam stillen Krypta, in der der weiche Sand am Boden die Schritte und Worte der Besucher aufnimmt. Ein überaus gelungener Wurf, ein hoffnungsvoller Ausblick in das dritte Jahrtausend nach Christi.

Täglich gab es in Hannover ein unfreiwilliges Exponat zu bestaunen: Menschenschlangen. Warum? Artenschutz? Nein, nur ein beträchtliches Ärgernis. Auf lange Schlangen kann nur stolz sein, wer an einem horror vacui leidet und dem ständig vorgeworfen wird: Deine Ausstellung will ja doch keiner sehen. Oder als Orden für die überwältigende Attraktivität eines Pavillons. Ansonsten: ein Armutszeugnis für eine Weltausstellung, die ihre Besucher in das schöne neue 21. Jahrhundert locken will. Mehrstündiges Warten vor einer Halle, gefangen und ohne jede Unterhaltung im Stau (Wo waren die Stauhostessen?). Von den vielleicht zwölf Stunden für 69 Mark zahlte man bei drei mal zwei Stunden Stauzeit 34,50 für das Schlangestehen. Deutschland war einst stolz darauf, in Organisation Weltmeister zu sein. In Hannover haben sie nicht einmal die Qualifikationsrunde überlebt.

Es sind die kleinen Dinge, heißt es, die eine Bedeutung haben im Leben. Und die flüchtigen Momente. Selbst bei einer Riesenweltausstellung. Die Eröffnungsschau des ZDF war nicht klein, da wurde geklotzt. Eine gigantische Halle, Licht, Lärm, ausverkauft, auf der Bühne Bon Jovi, die Scorpions mit den Berliner Philharmonikern, Kylie Minogue, Heidi Klum und Katarina Witt. In den ersten Sitzreihen 1-A-Prominenz zu Hunderten. Aber das alles wird dereinst ohne Bedeutung sein. Was ich von der Expo in meinem Herzen bewahren werde bis zuletzt, ist ein Augenblick aus den Nachmittagsproben zur Show. Der Gastgeber Thomas Gottschalk probt die Begrüßung des Showmasters Kai Pflaume. Der soll heute Abend in der Sendung Kamel-Eis feilbieten, zwei, drei Tüten sollen ans Publikum verteilt werden. Das Publikum ist aber bei der Probe nicht da. Wem drücken wir die Tüte denn nun in die Hand? Genau. Ein Blick, der Überirdische mit dem Engelshaar und ich, der Zaungast, lächeln einander an: "Hier, bitte sehr der Herr, ein Eis aus Kamelmilch." Und weiter im Text. Das wars.

Der Pavillon des Bertelmann-Konzerns ist einer der Publikumsmagneten. Und eine der großen Enttäuschungen. Wenn man sich nach stundenlanger Warterei endlich im "Planet m" wiederfindet, dann sitzt man da wie ein ausgehungerter Gourmet, dem statt eines sättigenden Essens nur ein hübsch dekorierter Big Mac ohne Nährwert vorgesetzt wird. Statt mit einer visionären Zukunftsreise durch die Welt der Medien wird man abgespeist mit zwei opulent angekündigten Filmchen, die so gehaltvoll sind wie ein Bertelsmann-Werbeclip. Auch die "Media Gallery" mit Souvenirs der Bertelsmann-Stars und -Sternchen bleibt oberflächlich und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Fast Food für die Sinne - ohne Sättigungsbeilage.

Die Herausforderung wartete am Shopping-Stand des indischen Pavillons. Seidige Saris, Gold- und Silberschmuck, flauschige Kaschmirschals so weit das Auge reicht. Aber keine Preise. Mit dem für Orientreisende vertrauten Gurren "Nur schauen, nur schauen, dann reden über Preis" war ich auch schon ins Zeltinnere gelockt und genau vor den roten Schal, den ich immer schon haben wollte. Und - herrje - nun war Handeln angesagt. Was ich zahlen würde, was er haben wolle... Die Verhandlungen zogen sich über zwei Tage hin. Als ich am nächsten Morgen erneut das Zelt betrat, schmetterte mir der Inder gleich seine nun schon wesentlich niedrigeren Preisvorstellungen entgegen. Nach nochmaligem Hin und Her war der Deal binnen zehn Minuten besiegelt: ich hatte meinen Kaschmirschal von 180 auf 120 Mark heruntergehandelt. Merkwürdig nur, dass der Inder immer noch freundlich lächelte und mindestens so befriedigt schien wie ich. Hätte ich also doch noch weiter... ?

Zusammengetragen von Heik Afheldt[Elisabeth Binde]

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