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Kultur: Fakt und Fälschung

Krieg macht erfinderisch: „Seeing is believing“, eine Ausstellung in den Kunst-Werken

Die Zebras sind dünn, sehr dünn. Was einen nicht verwundert, weil der Zoo, in dessen Gehege die beiden Tiere friedlich grasen, in Gaza liegt. Mangel gehört hier zum Alltag, auch für Vierbeiner. Tatsächlich reicht es nicht einmal für Zebras – weshalb die Pfleger weiße Esel mit schwarzen Streifen bemalt haben. Wahrscheinlich fliegt der Schwindel auf, wenn es regnet.

Die Wahrheit als Opfer des Krieges: Khaled Hourani hat von dieser skurrilen Szene tausende Postkarten drucken lassen und zum Mitnehmen in die Kunstwerke gehängt. Dabei stammt die fotografische Vorlage nicht einmal von ihm. Der Künstler aus Ramallah musste sich aufs Hörensagen verlassen, weil er zwischen den geteilten Zonen nicht hin- und herwechseln kann. Nachdem ihm von den bemalten Eseln erzählt worden war, bat er einen der Wärter für seine „Zebra Copy Card“ (2009) um ein Foto. Und obgleich in der Ausstellung „Seeing is believing“ drastischere und politischere Arbeiten zu sehen sind, wird man von dem schlichten Zoobild seltsam berührt. Weil es klar macht, dass den Menschen in Gaza die Sehnsucht nach Normalität bis heute nicht abhanden gekommen ist.

Auch in analytischer Hinsicht passen die Tiere wunderbar ins Bild. Dass der medialen Inszenierung von Wirklichkeit nicht zu trauen ist, muss keine Ausstellung mehr thematisieren. Spätestens seit Yevgeny Khaldei 1945 einen Rotarmisten (zwei Tage nach der Eroberung Berlins) die sowjetische Fahne auf dem Reichstag hissen ließ und unliebsame Details aus dem Bild entfernte, weiß man, dass Fotografie lügen kann. Spannender ist die Frage, wie jene 24 für „Seeing is believing“ ausgewählten Künstler auf die altbekannte Instrumentalisierung ihres Mediums reagieren. Besonders nach den Anschlägen von 9/11, die eine Fülle von Fehlinformationen und Manipulationen nach sich zogen.

Inigo Manglano-Ovalle gibt mit „Phantom Truck“ (2007) eine machtvolle Antwort. Seine riesige Skulptur, die schon auf der letzten Documenta zu sehen war und deren Konturen erst allmählich aus dem Dunkel der Kunst-Werke-Halle hervortreten, kopiert jenes Fahrzeug, das US-Außenminister Colin Powell 2003 im UN-Sicherheitsrat auf einem verschwommenen Satellitenbild präsentierte. Das angebliche mobile Labor für Biowaffen begründete den Einmarsch in Irak. Doch der Truck war ein Fake. Dafür liefert Manglano-Ovalle mit seinem zehn Meter langen Sattelschlepper nun jene „Fakten nach, nach denen man während des Kriegs vergeblich suchte“, heißt es lakonisch im Begleittext. Treffender lässt sich die künstlerische Strategie, die aus Ohnmacht geborene Ironie der Bloßstellung, nicht beschreiben.

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Kuratorin Susanne Pfeffer. Sie hat subtile Arbeiten wie „Exil“ (2007) von Adel Abdessemend ausgewählt, der in dünner Neonschrift ebendies über eine schwere Tür schreibt. Der Ausstellungsbesucher muss sie passieren, kann sie dann aber nicht mehr öffnen. Oder eine Vitrine des in Teheran geborenen Künstlers Abbas Akhavan: Selbst gebastelte Waffen aus Seife, Zeitungspapier, Büroklammern oder Socken unter Glas dokumentieren, was sich notfalls zur Waffe umrüsten lässt.

Daneben werden auch wuchtige Arbeiten präsentiert, etwa Kenneth Angers „Uniform Attraction“ von 2008. Ein kleiner Kinosaal unter dem Dach der KunstWerke schafft die Atmosphäre für den knapp halbstündigen Film, der einen förmlich in den Plüschsessel drückt. Halbe Kinder kriechen in Tarnuniformen und mit Maschinenpistolen im Arm durch Dschungelkulissen. Werbung für die Eliteeinheit der Marines wechselt mit privaten Schnappschüssen von einer Familie, die ihren Söhnen in jedem Jahr verlässlich Kriegsspielzeug untern Tannenbaum legt. Die Jungs sind begeistert, ballern herum – dann wird man zu Metal-Klängen an die echten Schauplätze geführt, blickt mit US-Piloten auf menschliche Ziele, sieht Explosionen und Rauch.

Anger zeichnet sich mit seinem schnell geschnittenen, sarkastischen Video nicht eben durch leise Töne aus. Man kann dem amerikanischen Künstler, Jahrgang 1927, allerdings zugute halten, dass er über die Jahrzehnte einfach zu viel gesehen hat, um sich noch lange mit einer ausgewogenen Berichterstattung aufzuhalten.

Alfredo Jaar hat für seine Video-Installation „May 1, 2011“ jenen vorgeblichen Schnappschuss ausgewählt, der US-Präsident Barack Obama samt ausgewählter Entourage dabei zeigt, wie er die Liquidierung Osama Bin Ladens auf einem Bildschirm verfolgt. Jaar beleuchtet das Bild wie ein aufwendiges, theatralisch-szenisches Arrangement. Je länger man es betrachtet, desto klarer tritt die Komposition hervor, die mit größter Sorgfalt einen Moment imaginiert: Man schaut der Tötung eines Terroristen zu. Wobei der Betrachter des Bildes diese selber nicht sehen kann; der Part bleibt Obama und seinem Stab vorbehalten. Das Bild macht die Politiker zu Garanten der Realität, denen man vertrauen soll. Im Kontext der Ausstellung erscheint eben diese Garantie obsolet.

Manches erscheint so abstrakt, dass das Verständnis des Werks bloß mithilfe einer hinzugefügten Erklärung funktioniert. „The Day Nobody Died“ (2008) zum Beispiel. Für das meterlange C-Print haben Adam Broomberg und Oliver Chanarin als Kriegsberichterstatter eine Rolle Fotopapier mit nach Afghanistan genommen und sukzessive dem Licht ausgesetzt. Und zwar ebendort, wo andere Journalisten ihre Kameras gezückt hätten. Ihr Panorama reflektiert die Grausamkeit des Krieges als abstraktes Farbenspiel, brutal in seiner ästhetischen Ignoranz. Man weiß alles – und sieht nichts.

Auguststr. 69, bis 13. November, Di–So 12–19 Uhr, Do 12–21 Uhr

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