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FANTASY-FORTSETZUNG„Wächter des Tages“: Albtraum Moskau

Russland, fremdes Land. Undurchschaubare Machtkämpfe mit unklaren Frontlinien, unnahbare Machtmenschen mit unmöglichen Sonnenbrillen.

Russland, fremdes Land. Undurchschaubare Machtkämpfe mit unklaren Frontlinien, unnahbare Machtmenschen mit unmöglichen Sonnenbrillen. Von außen wird niemand schlau draus, und auch die Russen selbst durchschauen die Ränkespiele ihrer Herrscher nur mit Mühe. Vielleicht glauben sie deshalb so gerne an die Lesart, die ihnen Timur Bekmambetows düstere und in Russland spektakulär erfolgreiche Fantasy-Filme anbieten: Denn Moskau ist hier der Schauplatz eines ewigen Ringens zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis, in dem Menschen nur als unbedeutende Randfiguren vorkommen.

Mit „Wächter der Nacht“ eröffnete Bekmambetow vor vier Jahren seine Trilogie, mit „Wächter des Tages“ setzt er sie nun fort. Noch immer ringt Filmheld Anton Gorodezkij im Dienste des Lichts um seinen verlorenen Sohn Jegor, der einer alten Prophezeihung zufolge den vor Jahrtausenden geschlossenen Waffenstillstand zwischen beiden Parteien ins Wanken bringen könnte. Dreh- und Angelpunkt des verschlungenen Plots ist die „Kreide des Schicksals“, ein weißer Schreibstummel, der ständig in die falschen Hände gerät. Klingt bescheuert? Tatsächlich sollte man nicht allzu viel Aufmerksamkeit an die Handlungsführung dieses Films verschwenden – und sich stattdessen rückhaltlos der visuellen Achterbahnfahrt überlassen, mit der Bekmambetow seine Zuschauer durch den stadtgewordenen Albtraum Moskau jagt.

Von amerikanischen Genre-Filmen ähnlicher Machart unterscheidet „Wächter des Tages“ nämlich in erster Linie, dass Bekmambetow seine Schreckenswelt – zumindest auf visueller Ebene – so radikal russisch gestaltet. Weltverschwörungen werden hier in verwanzten Wohnküchen ausgeheckt, mythische Schlachten auf den Dächern monströser Plattenbauten ausgetragen. Der Höhepunkt ist ein viertelstündiges Stadtmassaker, in dessen Verlauf Geschwader chinesischer Billig-Christbaumkugeln ganz Moskau in Schutt und Asche legen. Auch das ergibt nicht viel Sinn, ist aber grandios anzuschauen. Und irgendwo in dieser ganzen popcornkompatiblen Materialschlacht befällt den Betrachter dann auch noch das Gefühl, dass die Russen so ganz anders wohl doch nicht ticken. Russland, fremdes Land. Erst verfremdet wird’s vertraut. Schaurig-schräger Ostblockbuster. Jens Mühling

„Wächter des Tages“, R 2006, 140 Min., R: Timur Bekmambetow, D: Konstantin Chabenskij, Maria Poroschina, Wladimir Menschow, Galina Tjunina

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