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Sängerin  Serenad Bağcan trat mit Fazil Say im März in Brüssel bei einem Solidaritätskonzert für die türkischen Erdbebenopfer auf.

© picture alliance / AA/Dursun Aydemir

Fazil Say und Serenad Bağcan im Konzerthaus: Aus der Tiefe des Herzens

Berliner Gendarmenmarkt? An diesem Abend liegt das Konzerthaus in Anatolien. Die türkische Community ist gekommen, um dem Pianisten Fazil Say und der Sängerin Serenad Bağcan zu lauschen.

Die Zugabe, seinen Hit „Schwarze Erde“, spielt Fazil Say gleich zu Beginn. Am Ende ist klar, warum. Mehr und mehr hatte er die Bühne im ausverkauften Konzerthaus der Sängerin Serenad Bağcan überlassen. Der aus Ankara stammende Komponist, Pianist und Weltstar nimmt sich am Klavier zurück. Say umspielt und umhegt ihre grandiose Stimme, lässt sie bald auch die Stücke anmoderieren, auf Türkisch.

„İlk Şarkılar (Erste Lieder)“: Die beiden haben den von Fazil Say in den Neunzigern komponierten Zyklus nach Versen berühmter türkischer Dichter – darunter Nâzım Hikmet , Orhan Veli und Metin Altıok, der 1993 bei einem anti-alevitischen Brandanschlag ums Leben kam – vor zehn Jahren auf CD eingespielt. Die Lieder landeten auf Platz Eins der türkischen Popcharts, wie Say zunächst noch auf Deutsch erzählt, nun begeistern sie Berlins türkische Community.

Bağcan intoniert die eingängigen Melodien der Chansons, Volksweisen und Sehnsuchtsgesänge mit der Leidenschaft einer Tragödin, mitunter auch im kokett-ironischen Parlando. Kerzengerade steht sie auf dem Podium, breitet die Arme aus, eine Königin der Herzen, mit mal ehernem Timbre, mal samtenem Melos. Zu gerne würde die des Türkischen unkundige Zuhörerin neben den eindringlich beschworenen Emotionen auch ihre Liedtexte und Erläuterungen verstehen. Aber egal, an diesem Abend gehört sie einer kleinen Minderheit an.

Sentiment und Ekstase: der Pianist und Komponist Fazil Say.
Sentiment und Ekstase: der Pianist und Komponist Fazil Say.

© Marco Borggreve

Die große Fangemeinde füllt den Saal bis in die obersten Ränge. Freie Platzwahl, kein Programm, wildes Stimmengewirr, so munter geht es in Klassiktempeln immer noch viel zu selten zu. Vor 30 Jahren sei er hier zum ersten Mal mit einem Recital zu Gast gewesen, verrät der 53-Jährige eingangs, dies sei sein 30. Konzerthaus-Auftritt.

Zum Jubiläum spielt er nicht nur solo und greift in bewährter Manier in die Saiten, um dem Flügel neben jazzigen Passagen auch schrundige, schnarrende Klänge zu entlocken – etwa in „Yeni hayat (Neues Leben)“, einem in der Pandemie entstandenen, furios zersprengten Ragtime. Sondern er versammelt auch Freunde um sich, bei den Liedern neben Bağcan den diskret trommelnden Perkussionisten Aykut Köselerli, und zuvor den jungen Cellisten Jamal Aliyev.

Auch die Cellosonate „Dört Şehir (Vier Städte)“ mit tönernen Porträts der anatolischen Städte Sivas, Hopa, Ankara und Bodrum lebt von Says Kernmotiv der bedrohlich aus den Tiefen aufsteigenden Mollterz, von Klangrausch, Repetition und ekstatisch sich aufbäumenden Passagen. Und Aliyevs Cello schmachtet, tanzt, wütet und bebt, nicht ohne gleich in „Sival“ auf verblüffende Weise den näselnden Sound einer Duduk zu imitieren.

Zur düsteren Stimmung des „Ankara“-Satzes bemerkt Fazil Say noch, in der Türkei gehe es seit einem Vierteljahrhundert düster zu. Und was ist mit seiner höflichen Verbeugung vor Präsident Erdogan nach einem Konzert 2019 in der Türkei? Als unermüdlicher Kulturvermittler hört Say offenbar nicht auf, an den Dialog zwischen dem säkular-liberalen und dem islamisch-fundamentalistischen Lager in seiner Heimat zu hoffen, auch wenn er in früheren Jahren wegen seines Freiheits-Engagements dort drangsaliert worden ist.

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