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„Circe bietet Odysseus den Kelch an“ von John William Waterhouse (1891).

© © Gallery Oldham

„Femme fatale“ in der Hamburger Kunsthalle: Sündige Verführerin, böses Weib

Mit 200 Werken untersucht die Hamburger Kunsthalle männliche Blickstrategien in den letzten 175 Jahren - und wie sich die Malerinnen zur Wehr setzten.

Ein gefährliches Lächeln umspielt die Lippen von Wilhelm Krays „Lorelei“. Ungeduldig tippt sie mit dem rechten Zeigefinger auf den linken Unterarm, als könnte sie es kaum erwarten, dass sich unter ihrem Felsen der nächste Rheinschiffer als Opfer darbietet. Auch Friedrich Wilhelm Heinrich Martersteigs Darstellung der mythischen Figur blickt erwartungsvoll herunter in die Schlucht. Die Leier hat sie schon zur Hand, um ihr verführerisches Lied anzustimmen, mit dem das Schicksal für die willenlos gemachten Männer seinen Lauf nimmt. Ihr Untergang ist besiegelt.

Die Lorelei ist nur eine Spielart der Femme fatale, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Kunst Konjunktur hatte. Sphinx, Medusa, Salome, Judith – all die starken Protagonistinnen aus Bibel und griechischer Antike lieferten den besten Vorwand, die Frau als Männer mordendes Wesen vorzuführen und sich zugleich an ihrer Zuschaustellung zu ergötzen.

Sehr viel anders funktioniert es auch nicht in der Ausstellung „Femme fatale. Blick – Macht – Gender“ in der Hamburger Kunsthalle. Um über männlichen Mechanismen der Inszenierung aufzuklären, muss man sie erst einmal vorführen – welch ein Leckerbissen für die Besucher. Die große Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum „Susanna…“ bedient sich derselben Strategie: Was ich verdamme, will ich auch sehen. Beide Ausstellungen erfreuen sich großen Zulaufs.

Rund 200 Werke hat die Kunsthalle zusammengetragen, an denen sich delektieren lässt - natürlich unter Schamgefühlen. Aus diesem Sündenpfuhl führt nur das Erkennen heraus. Den Pfad der Erkenntnis aber beschreitet die Ausstellung so erhellend, so inspirierend, dass es vor allem eine Freude ist.

Das Schönheitsideal der Präraffaeliten lebt fort

„Doing Feminism – with Art!“ lautet der Titel einer grünen Broschüre, die gleich am Eingang ausliegt. Das weiße Schönheitsideal, das der Präraffaelit Dante Gabriel Rossetti mit seiner sich kämmenden Lilith beschwor, existiert weiter auf Tiktok, ist darin zu erfahren. Seine Fortsetzung erlebt es mit dem Clean Girl-Look, bei dem die Mädchen eine glatte, porzellanartige Haut zur Schau tragen, dazu ein bisschen Lipgloss und Perlmuttfarbigen Nagellack. Dass damit eine rassistische Idee aus der Kolonialzeit fortgeschrieben wird, dürfte den wenigsten klar sein.

Machtlos in den Fängen der Frau. Max Liebermanns „Simson und Delila“ von 1902 aus dem Frankfurter Städel Museum.
Machtlos in den Fängen der Frau. Max Liebermanns „Simson und Delila“ von 1902 aus dem Frankfurter Städel Museum.

© bpk / Städel Museum

Schritt für Schritt nimmt die Ausstellung Männerfantasien auseinander. Zunächst schaudert man bei Bruno Piglheins „Ägyptischer Schwerttänzerin“ (1891) noch genüsslich, die mit nacktem Oberkörper und gekreuzten Beinen am Boden sitzt und doch von oben herab auf den Betrachter blickt. Das quer auf den Oberschenkeln abgelegt Schwert ist gleichermaßen Bedrohung und Versprechen. Grell von vorne angeleuchtet, wirft ihr Körper düstere Schatten an die Wand.

Genau diese Requisiten des Orientalismus - Schleier, Säbel, Turbane - bedienten das Bild einer rückständigen, fremdartigen Weltregion, die es zu zivilisieren galt. Die Haremsdamen, Odalisken waren dafür die besten Projektionsfiguren, verkörperten sie durch ihre sexualisierte Darstellung doch niedere Instinkte, ja Sündigkeit.

Starke Frauen lehrten das Fürchten

„Femme fatale“ ist ein Ritt durch die Kunstgeschichte der letzten 175 Jahre. Symbolismus, Impressionismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit – sie alle schufen ihre Verführerinnen. Um 1900 traten sie sogar real ins Leben als Schauspielerin wie Sarah Bernhardt, Muse wie Alma Mahler-Werfel oder Tänzerin wie Anita Berber.

Alle drei wurden beliebte Objekte in Malerei wie Fotokunst, inszenierten sich aber auch selbst in dieser Pose. Starke Frauen lehrten damals das Fürchten. Mit der Emanzipation und dem aufkommenden Typus der Neuen Frau gewann umso mehr die Femme fatale als Motiv an Popularität, als sollte zumindest in den konservativen Künsten dem weiblichen Geschlecht weiterhin ein fester Platz zugewiesen werden.

Doch die neue Richtung war mit Bernhardt, Alma-Werfel und Berber eingeschlagen. Selbstbewusst übernahmen in den 1960er Jahren Künstlerinnen wie Dorothy Iannone, Valie Export, Maria Lassnig die Strategie der Zuschreibung als Mittel des Empowerments. Iannone feierte ihre Sexualität mit lebensfrohen bunten Bildern, Export setzte mit ihrem Tapp- und Tastkino ihrerseits die Männer Blicken aus, und Lassnig malte sich als selbstbestimmte Riesin.

Die nächste Stufe in Zeiten von Queerness und Genderfluidität liegt auf der Hand. Geschlechtliche Zuschreibungen sind von gestern machte Sonia Boyce mit ihren „Six Acts“ bereits 2018 in der Manchester Art Gallery klar. Drag Queens performten in der Präraffaeliten-Abteilung, John William Waterhouses Gemälde „Hylas und die Nymphen“ wurde demonstrativ abtransportiert. Prompt gab es Protest.

In Hamburg werden die Six Acts als Video-Tableau auf buntem Grund präsentiert. Längst hängt das Gemälde von Waterhouse wieder. Es wäre aber auch zu schade, würde man die Femme fatale, so fragwürdig ihre Darstellung ist, aus dem Museum eliminieren.

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