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Kunst, die einem nahe kommt. Wiebke Siems Damenskulpturen in der Galerie Esther Schipper.

© Andrea Rossetti/Courtesy of the artist and Esther Schipper, Berlin

Doppelausstellung bei Esther Schipper: Festhalten am Diffusen

Von Rausch bis Bedrängnis: Die Galerie Esther Schipper zeigt Skulpturen von Wiebke Siem und Ann Veronica Janssens. Intensiver kann man sich mit Kunst kaum auseinandersetzen.

Am Anfang stand die Idee eines Schals. Es wären interessante Modelle geworden, das machen die hängenden Figuren klar. Etwas für große Frauen, gibt Wiebke Siem zu. Doch dann sind ihr die Objekte entglitten, wie stets eigentlich, wenn die Künstlerin etwas mit Filz oder Holz oder gemusterten Stoffen macht: Sie führen ein Eigenleben. Wirken wie immer schon dagewesen – als hätte Siem ihnen bloß noch Konturen gegeben und sichtbar gemacht.

Die Präsenz ihrer Damenskulptur in der Galerie Esther Schipper (Potsdamer Straße 81 e, bis 16. Dezember) ist enorm. Man spaziert zwischen den schmalen, weichen Gliederpuppen, die an Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ erinnern – obwohl dessen Figuren geometrisch waren. Bei Wiebke Siem scheint die eine aus grünen Zweigen gemacht, die andere aus riesigen Perlenschnüren unter der gelben Filzhaut. Und jede von ihnen steht im Dialog mit ihrem Betrachter.

Ein mit Farbe getränkter Nebel

Die Kunst kommt einem nah. Das ist ganz im Sinne von Siem, die schon in den achtziger Jahren Kleider und Hüte genäht hat. Ohne Rücksicht auf Moden, dafür die Postmoderne im Blick, um die damals gestritten wurde. Schon während des Studiums hat sie sich für Arbeiten von Claes Oldenburg oder Franz-Erhard Walter interessiert – weiche Werke, die der skulpturalen Idee neue Formen gegeben haben. Die Künstlerin geht weiter: Auf älteren Zeichnungen sieht man, wie ihre Skulpturen von Menschen gehalten, benutzt und getragen werden. Sich intensiver mit Kunst auseinanderzusetzen, geht kaum.

Deshalb passt Siems Ausstellung perfekt zu ihrer Nachbarin Ann Veronica Janssens. Zwar öffnet sich der dunkle Raum von Damenskulptur wie eine Bühne, während Janssens ihre immaterielle Arbeit mit einer Tür versperrt. Dahinter geht man jedoch durch einen mit Farbe getränkten Nebel, der umhüllt und orientierungslos macht. Das Licht ist diffus, die Farben wechseln von Pink zu Gelb zu Grün. So muss es sich anfühlen, durch ein Bild von Gotthard Graubner zu spazieren. "Ich rede zu Dir wie Kinder reden in der Nacht" heißt die Installation der in Brüssel lebenden Künstlerin nach einem Satz, den Rainer Maria Rilke an Lou Andreas-Salomé schrieb. Begriffe wie „geschlossene Augen“ und „Nähe“ kommen im Brief ebenfalls vor – und beides ist Thema des Farbraums, der die unterschiedlichsten Gefühle provoziert, von Rausch bis Bedrängnis. Zwei Künstlerinnen, zwei Varianten von Skulptur, die den Begriff individuell erweitern und gleichzeitig an die historische Dimension des Themas erinnern. Zwei Werke, klug und zärtlich. Was will man mehr?

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