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Festival in Polen

© Festival

Festival "Dialog" in Breslau: Engel in Polen

Wahlkampf: Wie das Theater auf die Kaczynskis reagiert. Eindrücke vom internationalen Festival "Dialog" in Breslau.

Der junge Mann unter der vorbildlich naturalistischen Schimpansenmaske freut sich. „Wir haben einen Aktionsplan und endlich einen neuen Führer,“ agitiert er seinen Kollegen. Der nickt – ebenfalls unter einer Affenmaske – emsig zurück. „Das ist das wahre Ende des Liberalismus!“

Die Zuschauer schütteln sich vor Lachen. Zwar hat der amerikanische Dramatiker Tony Kushner sein agitatorisches Statement zur Lage der Nation einem Republikaner der Reagan-Ära in den Mund gelegt. Aber es passt auch hier und jetzt, zwanzig Jahre später, in einer charmant heruntergewirtschafteten Theaterhalle beim Dialog-Festival im polnischen Wroclaw. Schließlich blamiert sich zeitgleich zum Jubel der Theaterfans über Krzysztof Warlikowskis Kushner-Inszenierung „Engel in Amerika“ der polnische Premier Jaroslaw Kaczynski im Fernsehduell gegen den Chef der oppositionellen Bürgerplattform Donald Tusk. Und obwohl Kaczynski auf die vorhersehbarsten Fragen keine Antwort weiß und von zwei Dritteln der Fernsehzuschauer zum Verlierer erklärt wird, ist nicht auszuschließen, dass die Polen bei den vorgezogenen Neuwahlen am morgigen Sonntag wieder eine konservative Regierung wählen.

Zu behaupten, dass während des Festivals in Breslau – eine Art polnisches Theatertreffen mit flankierenden internationalen Gastspielen – viel vom bevorstehenden Wahlsonntag die Rede ist, wäre übertrieben. Dafür sind die Fronten zu klar: In der polnischen Kulturszene tauchen die Kaczynskis nur als „unsere lächerlichen Zwillinge“ auf; ganz junge Wilde lassen sich gar zu einem „die Kriminellen“ hinreißen. Tatsächlich findet man in der Breslauer Innenstadt kein Wahlplakat von Kaczynskis Partei „Recht und Gerechtigkeit“, auf dem der Chef nicht verunstaltet wäre. In Bahnhofsnähe läuft ihm eine Ketchupspur vom Auge bis zum Kinn; hundert Meter weiter hat jemand das Restöl aus seinen Pommes herausgequetscht, um es auf Kaczynskis Wange zu verteilen. Und die Parteiwerbezettel, die auf dem idyllisch restaurierten Marktplatz, dem Rynek, verteilt werden, fliegen geradewegs in den nächsten Papierkorb.

Festivaldirektorin Krystyna Meissner sieht dem Wahlsonntag dennoch mit Sorge entgegen. Die rothaarige Mittsiebzigerin, die zwanzig Jahre jünger wirkt, glaubt, dass die Zwillinge mit ihrer Quadratwurzel-Operation und der Mischung aus katholischer Bigotterie und Fremden- wie Homosexuellenfeindlichkeit bei einem Großteil der Menschen aus den bildungsfernen und den ländlichen Milieus gut ankommen.

„Engel in Amerika“ dauert fünfeinhalb Stunden; Warlikowski lässt Teil eins und zwei des seinerzeit als Reflex auf die Schwulenfeindlichkeit der Reagan-Regierung entstandenen, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Dramas am Stück spielen.Trotz der Überlänge bleiben die meisten Zuschauer. Ein Merkmal des Festivals: Die Theater sind übervoll – und der Altersdurchschnitt im Parkett liegt geschätzte 25 Jahre unter dem des Berliner Theatertreffens.

Zwar vermeidet der Regisseur jeden Hang zum Plakativen und kontert den engagiert gesellschaftskritischen Ton von Kushners Textvorlage mit stillen, privaten Liebestragödien vor dem Hintergrund von Aids und schwulen Coming outs. Dennoch kommt einem – was in Berlin kaum mehr nachvollziehbar sein mag – bei jedem nackten Männerhintern und jedem Schauspielerbein in High Heels der andere Kaczynski in den Sinn: Staatspräsident Lech, der noch als Warschauer Bürgermeister Homosexuellen-Demonstrationen hatte verbieten oder brutal auflösen lassen. Statistiker gehen davon aus, dass dreißig Prozent der Polen, die nach Deutschland kommen, Homosexuelle sind. Warlikowskis Inszenierung endet gegen Mitternacht mit Ovationen.

An der lokalen Avantgarde-Front wurde der 45-jährige Regisseur – in den 1990er Jahren einst neben Künstlern wie Grzegorz Jarzyna Zugpferd des polnischen Theaters – mittlerweile abgelöst. Eine Generation junger, politisch Unzufriedener hat die Bühnen erobert; wenngleich nicht widerstandsfrei. Die Bezeichnung „Unzufriedene“ haben sie sich in der Auseinandersetzung mit der polnischen Tradition, dem realsozialistischen Erbe und den neokapitalistischen Exzessen erworben. Das Theaterfestival zeigt nun zwar, dass der Politiker – oder zumindest der diplomatische Anzugträger – zu den Lieblingshassfiguren der polnischen Gegenwartsbühne gehört. Es beweist aber auch, dass sich die jungen Zornigen dabei auf einem weiten ästhetischen Feld bewegen.

Galionsfigur der neuen Regiegeneration ist Jan Klata. In seiner „Orestie“-Inszenierung bewegt sich der Chor so mechanisch im effektvoll angestrahlten Nebel, dass er an eine geradewegs aus „Second Life“ gefallene Marionettentruppe erinnert. Überhaupt traut Klata der (polnischen) Demokratie wenig zu. Der seinen Vater rächende Muttermörder Orest hüpft mit der Axt zur blutigen Tat und trägt dabei praktischerweise ein Plastikregencape, was den Vorteil hat, dass man darin Superman spielen kann. Auch das finale Göttergericht – antike Metapher für Rechtsprechung und Demokratie – versackt passend zum Fernsehduell der Wahlkampfgegner in westlichen Zerstreuungskulturtechniken: Apollon entert als veritables Robbie-Williams-Double die mittlerweile zum TV-Studio umdrapierte Bühne, und Athene zieht als rückenfreies Showgirl nach.

Der 31-jährige Michal Zadara bringt politische Macht und Ohnmacht subtiler ins Spiel, indem er Jan Kochanowskis über vierhundert Jahren alte „Abfertigung der griechischen Gesandten“ – das älteste polnische Drama überhaupt – in eine Modellstudie über politisches Kalkül verwandelt. Unter dem Gelächter der Zuschauer öffnet der gemeine Anzugträger auf minimalistisch leerer Bühne das Blendkästchen der politischen Rhetorik.

Zu den Regie-Rebellen gehört auch Wojciech Klemm. Der ehemalige Assistent von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne war zwar nicht zum Wroclawer Theaterfestival eingeladen, hat aber kürzlich die 90 Autobahn-Minuten entfernte Provinzbühne von Jelenia Gora übernommen. Mit Akribie rollt Klemm die zwischen Traditionalisten und Avantgardisten in der polnischen Presse geführten Grabenkämpfe auf, die in ihren Grundzügen durchaus an so lustige Regietheaterbashing-Versuche wie die deutsche Ekeltheaterdebatte erinnern – allerdings mit dem Unterschied, dass sie sich in Polen auch politisch prächtig instrumentalisieren lassen.

Wie es mit derartigen Vereinnahmungs- und Einmischungsversuchen realiter aussieht, ist schwer zu sagen. Krystyna Meissner schaut ziemlich verdutzt, wenn man nach potenziellen Schwierigkeiten mit der polnischen Erstaufführung von „Engel in Amerika“ fragt. Anderes hört man aus den Provinzen. Zum Beispiel von Piotr Kruszczynski, der das Szaniawski-Theater in Walbrzych, einer Stadt mit hoher Arbeitslosenquote unweit von Breslau, zur impulsgebenden Bühne gemacht hat. Er bekommt regelmäßig Besuch von der Stadtregierung, in der Kaczynskis Partei „Recht und Gerechtigkeit“ das Sagen hat. Sie stößt sich nicht nur am dokumentarisch auf der Theaterbühne verhandelten Kindesmissbrauchsfall eines kirchlichen Würdenträgers, sondern auch am hochprofessionellen Männerstrip in Jean Genets „Balkon“.

Die Stadtregierung, erzählt der Intendant, will den Geldhahn zudrehen, wenn nicht endlich „positive Werte“ vermittelt werden. Piotr Kruszczynski wird die Hochrechnungen nach Schließung der Wahllokale aufmerksam verfolgen.

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