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Feuchtgebiete: Das letzte Tabu

Gerrit Bartels staunt über den nächsten Bestseller von Charlotte Roche.

Zur Logik der Buchbranche gehört es, dass nach einer Buchmesse gleich die neue Saison beginnt. Seit dem Ende der Leipziger Buchmesse wird fürs Herbstprogramm getrommelt; ganz weit vorn positioniert sich gerade der Münchener Piper Verlag. Er verschickte dieser Tage eine aufwendig gestaltete, achtseitige Broschüre, um den „neuen Bestseller“ von Charlotte Roche anzukündigen, „Schoßgebete“ (kein Witz!). Man hatte es fast vergessen: Vor zwei Jahren landete Charlotte Roche mit ihrem offenherzigen Sex-, Anal- und Ekelroman „Feuchtgebiete“ einen unglaublichen Erfolg und setzte an die zwei Millionen Exemplare ab. Eingekauft hatte dieses Buch Dumont-Verlagsleiter Marcel Hartges, der inzwischen die Verlagsgeschäfte bei Piper führt. Deshalb der Wechsel auch von Charlotte Roche.

„Schoßgebete“, teilt Piper jetzt mit, „widmet sich einem unserer letzten Tabus: dem ehelichen Sex. Und der Frage, wie ein Paar es schafft, für immer zusammenzubleiben“. Und weiter: „’Schoßgebete’ erzählt von Ehe und Familie wie kein Roman zuvor“. Annonciert wird „die Geschichte einer so unerschrockenen wie verletzlichen jungen Frau“. Ja, das ist wieder mitten aus dem Leben der postfeministisch orientierten Frau von heute gegriffen, da dürfte nicht viel schiefgehen. Weil man das aber beim Verlag nicht hundertprozentig weiß, eine Startauflage von 500 000 verkauft werden will und sicher eine Menge Geld für den „Feuchtgebiete“-Nachfolger geflossen ist, beginnt die Werbung schon jetzt. Das Buch selbst erscheint erst am 15. August, die Lesetour beginnt noch einmal vier Wochen später. Wie man der Broschüre entnehmen kann, am 10. September in Bremens Schlachthof.

Blauaugen seid wachsam. Die Termine wollen vorgemerkt werden, da rollt was auf uns zu. Gut Ding will Weile haben, heißt es schließlich auch bezüglich langer, funktionierender Ehen. Apropos: Wieso ist ehelicher Sex eigentlich ein letztes Tabu? Ist der nicht anders als der uneheliche allzeit gestattet? Das eine oder andere Schoßgebet dürfte man bei Piper aber schon Richtung Himmel senden; auf dass sich die Republik erneut so errege wie seinerzeit bei den „Feuchtgebieten“.

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