Er hat sich auf einen Steinsims gestellt, etwas erhöht, des besseren Überblicks wegen, aber an einer Stelle, an der die Show eigentlich schon vorbei sein würde. Er hat eine kleine Handkamera dabei. Den Besuch John F. Kennedys in seiner Stadt will er auf Film bannen. Die zahlreichen Zuschauer, die den Weg des Präsidenten säumen, stehen weiter oben, in den Straßenschluchten des Geschäftsviertels. Dort Jubel, Begeisterung, als Kennedys Wagenkolonne von der Houston Street abbiegt und die Rampe zur Hauptstraße hinabrollt. Zapruder filmt.
Es werden die berühmtesten 27 Sekunden, die je auf einem Privatfilm festgehalten wurden.
Abraham Zapruder ist damals 63, und er betreibt ein Geschäft für Damenbekleidung. Nur eine Stunde nach dem Attentat, das auf seinem Film deutlicher als auf jedem der zahlreichen anderen Privataufnahmen Schaulustiger zu erkennen ist, steht bereits ein Journalist vor seiner Tür. Es werden einzelne Bilder in den Medien veröffentlicht, später verkauft Zapruder den ganzen Film an das „Life Magazine“ für 150 000 Dollar. Heute liegen die Rechte beim Sixth Floor Museum, das in jenem Lagerhaus am Dealey Plaza untergebracht ist, von dem aus Lee Harvey Oswald auf Kennedy schoss.

Es sind 27 verwackelte Sekunden. Grobkörnig, farbintensiv, voller Bildsprünge und Schleifspuren. Ein Produkt des Zufalls und eines jener ganz seltenen Dokumente, das die kollektive visuelle Fantasie bis heute prägt. Was an Gefühlen und Schockerfahrungen vom Kennedy-Mord auch 50 Jahre später präsent geblieben ist, haftet am Zapruder-Film. Welches Bild wir uns machen, ist durch ihn geprägt.
Der Mythos des Attentats überschattet die Beweise
Der zwei Meter lange Kodakchrome- Streifen steht damit in einer Reihe mit den Aufnahmen vom Hindenburg-Unglück in Lakehurst 1937 oder den TV-Bildern vom Attentat auf Ronald Reagan 1981 in Washington. Doch es ist etwas Merkwürdiges mit diesem historischen Dokument geschehen. Jeder meint, etwas anderes auf ihm zu entdecken. Woraus US-Autor Don De Lillo in seinem Roman „Sieben Sekunden“ die These ableitete: Jemanden Berühmtes umzubringen gelinge am besten unter den Augen der Weltöffentlichkeit.
Der Mythos des Attentats wird die Beweise überschatten. Obwohl immer dasselbe zu sehen ist – wie die offene Limousine des Präsidenten in die Elm Street einbiegt, gefolgt von den Autos der Sicherheitsbeamten, wie Kennedys Wagen hinter einem Verkehrsschild verschwindet, wie er wieder auftaucht und der Präsident kurz darauf zusammenzuckt, er presst seine Hände an die Kehle, wie er, schwer getroffen und benommen nach Luft ringt und seine Frau Jacqueline sich besorgt ihm zuwendet. Und dann der zweite Treffer. In den Kopf. Eine Blutfontäne. Und Jacqueline Kennedys rosafarbenes Kostüm, das leuchtet.
- 27 Sekunden und eine Kamera
- Zapruders Film, eine Art Reality-Pornografie.
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