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Freiheit des Geistes: Oleg Ivenko als junger Nurejew mit Adèle Exarchopoulos als Clara, die ihn in die Pariser Gesellschaft einführt

© Allamode

Film über Rudolf Nurejew: "The White Crow": Heißsporn im Kalten Krieg

Der Tänzer Rudolf Nurejew floh 1961 nach Paris. Das Biopic „The White Crow“ hält diesen Moment fest.

Von Andreas Busche

Rudolf Nurejew war zu Lebzeiten bereits eine Legende, der erste Popstar des Balletts. In einer Liga mit Rudolph Valentino und Elvis. Wo er auftauchte, lagen ihm Frauen zu Füßen. Und Männer. Seine androgyne Erscheinung, seine geschmeidige Physis, die unwiderstehliche Kombination aus stechendem Blick und hohen Wangenknochen erschufen in den Sechzigern ein neues Männerbild. Poesie in Bewegung, fleischliche Sinnlichkeit, vergleichbar nur mit Elvis’ Hüftschwung.

Der damals 23-jährige Nurejew, ein Schüler des berühmten Choreografischen Instituts in Leningrad, erreichte den Westen genau im richtigen Moment, um die sexuelle Revolution der Swingin’ Sixties sozusagen in full swing mitzunehmen. Als er 1961 nach einer Einladung der Kirow-Compagnie an die Pariser Oper kurz entschlossen in Frankreich blieb, war der Überläufer eine ähnliche Sensation wie kurz zuvor Juri Gagarin nach seinem Spaziergang im All.

Privat neigte Nurejew zu Ausschweifungen

Nurejew hätte auch das Zeug zum Filmstar gehabt. Aber seine Spuren in der Filmgeschichte sind so rar wie unergründlich. Dass er in Ken Russells Camp-Epos „Valentino“ jenen Stummfilmstar spielte, mit dem er nicht nur den Vornamen teilte, war fast schon zu naheliegend. Privat neigte Nurejew zu Ausschweifungen, aber seine Kunst war zu konzentriert für Russells flirrende Flamboyanz. Eine reizvolle Partie, aber zum Scheitern verurteilt.

Sein zweiter Auftritt an der Seite von Nastassja Kinski und Harvey Keitel in James Tobacks „Exposed“, in der er einen Terroristen in der New Yorker Modewelt spielt, bleibt als kurioser Ausläufer von New Hollywood in Erinnerung.

Oleg Ivenko hat einiges zu schultern. Der ukrainische Tänzer verkörpert in Ralph Fiennes’ dritter Regie-Arbeit „The White Crow“ den jungen Nurejew, der während der sechs Wochen in Paris, beschattet von KGB-Leuten, Gefallen findet an der Freiheit des Willens und der Kunst. Kontemplativ steht er vor Géricaults „Floß der Medusa“ und sinniert über das verzweifelte Gewimmel der Körper. Aus dem Todeskampf erwächst Schönheit. Seine französischen Gastgeber schmunzeln über so viel Beflissenheit.

Fiennes' Film dreht sich um diesen kurzen Zeitraum in Nurejews Leben. Dass „The White Crow“ die Geschichte mit Sprüngen in die Kindheit und die formativen Jahre unter seinem Mentor Alexander Puschkin, vom Regisseur mit beängstigend fliehendem Haaransatz (und einwandfreiem Russisch) gespielt, aufbricht, macht die Dramaturgie allerdings unnötig schwerfällig. Nurejew, Sohn tatarischer Geflüchteter, wurde 1938 im Zug nach Sibirien geboren, was wohl auch seine Obsession mit Modelleisenbahnen erklären soll.

Nurejew hatte eine Affäre mit der Frau seines Mentors

Die Besetzung des Tänzers Ivenko ist zudem eine künstlerische Entscheidung mit Konsequenzen. Die Proben sind akribisch choreografiert, gefilmt mit viel Sinn für fließende Bewegungsabläufe – was bei einem Schauspieler so nie funktioniert hätte. Dass das Budget für die Inszenierung einer aufwendigen Choreografie gefehlt hat, bleibt dennoch ein Manko.

Das andere: Ivenko verfügt über einen einzigen Gesichtsausdruck. Überheblichkeit mit einem abfälligen Zug um den Mundwinkel, der Nurejews berüchtigtes Temperament erahnen lässt. Im Spielzeuggeschäft hat er einen kindischen Wutanfall, den seine Begleiterin Clara (Adèle Exarchopoulos), eine höhere Tochter, die Nurejew in die Pariser Society einführt, geduldig erträgt.

Vieles bleibt in „The White Crow“ Staffage. Die Pariser Pastelltöne im Gegensatz zu den gedeckten Erdfarben im Kommunismus. Oder Nurejews widerwillige Affäre mit der Frau (Tschulpan Chamatowa) seines Mentors als Kontrast zur kühlen Beziehung mit dem jungen Tänzer Teja (Louis Hofmann) während seiner Leningrad-Jahre.

Fiennes ist ein fleißiger, aber biederer Regisseur, der Nurejews Exzesse, seine Temperamentsausbrüche wie auch seine sexuellen Ausschweifungen runterdimmt. In einer Szene legt er sich, noch ein Student, mit dem Direktor der Kirow-Compagnie an, weil er sich von den Lehrern eingeengt fühlt. Etwas von diesem Freigeist hätte man auch Fiennes gewünscht.

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