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Beten und zweifeln. Bruder Christophe (Olivier Rabourdin).

© NFP

Filmkritik "Von Menschen und Göttern": Frei sein, bis zuletzt

Erschütternd und weise: Xavier Beauvois’ Mönchsdrama "Von Menschen und Göttern".

Ein Kritiker ist genau eine Hälfte Gottes: Er schafft zwar absolut nichts, aber er urteilt absolut, nämlich über die – fremden – Werke, und manchmal kommt er zu dem gleichen Ergebnis wie der Herr: „Und er sah, dass es gut war!“ Nein, „gut“ ist gar kein Ausdruck. Dieser Film von Xavier Beauvois hat etwas von dem Wunder, das über den Glauben geht.

Sollte das noch möglich sein? Ist „Von Menschen und Göttern“ ein christlicher Film, gar ein Weihnachtsfilm? Ja, ist er. Aber nur unter einer Voraussetzung: Dass er es absolut nicht ist. Und niemals werden wollte. Dennoch ist das, was Christentum bedeutet, lange nicht erschütternder, schöner, bescheidener, weiser auch ausgesprochen worden.

Bekehrt werden soll hier niemand. Schon der Gedanke verdürbe alles. Es ist eher so, dass die besten religiösen Kräfte des modernen, strukturell nachreligiösen Menschen eingewandert sind in die Kunst und in seine Fähigkeit, sie wahrzunehmen.

Dabei scheut Regisseur Xavier Beauvois nicht einmal die Beinahe-Blasphemie: Die vorletzte Szene ist eine Abendmahlszene. Die Mönche des Trappistenklosters im algerischen Tibhirine essen gemeinsam, und jeder weiß für sich, dass es vielleicht nicht mehr oft so sein wird. Wie leicht hätte das missraten können – aber dieses Abendmahl wird in seinem hohen, zitternden Zugleich von größter Freude, von Feier des Lebens und Trauer zum Höhepunkt des Films. Und dazu erklingt Tschaikowskis „Schwanensee“ aus einem klostereigenen CD-Player. Was für eine Balance!

Neun Menschen sind es, so verschieden, wie es Menschen nur sein können. Da ist Abt Christian, dem Lambert Wilson eine gleichsam durchscheinende Gottes-Sensitivität gibt. Bruder Luc, unbeirrbar, stark gegen Gott und die Welt (Michael Lonsdale). Oder der Jüngste, Christophe (Olivier Rabourdin), der Gottes Stimme nicht mehr hören kann und nicht glauben will, dass der Glaube so bitter schmecken kann. Und sie sind einander sehr gleich, anders als die gewöhnlichen Menschen unseres Zeitalters. Sie sind vereint in Stille, Arbeit und vor allem: in der Musik. Über den Gesang der Psalmen haben die Schauspieler zuerst in ihre Rollen gefunden und irgendwann begonnen, sie auch während der Drehpausen zu singen.

Und dennoch, wie kann ein Film, dessen Handlung jeder im Voraus kennen kann, so anrühren und überraschen? Hier sind sie noch einmal, die bitteren Fakten, aufgrund deren „Von Menschen und Göttern“ entstand: Am 30. Mai 1996 wurden die Köpfe der Mönche des Trappistenklosters von Tibhirine auf einer Straße nahe Médéa gefunden. Aufgeklärt wurde die Tat nie – aber sie geschah in einem damals von islamistischen Fanatikern terrorisierten Land.

Fanatismus ist das Geschwisterkind jeder Religion. Jede Religion ist dämonisch: der Versuch einer nur allzu endlichen Macht, im Namen des Unendlichen zu sprechen. Was für eine Selbstermächtigung der scheinbaren Demut! Was uns am Islam so erschreckt, ist, dass wir einer lebendigen Religion ins Gesicht blicken. Das Christentum ist als Religion nicht mehr lebendig, zumindest nicht in Europa, und selbst das religiöse Bewusstsein der Gläubigen ruht schon auf einem nachreligiösen.

Die größte Gefahr für Beauvois hätte darin bestanden, die guten, sanften, nächstenliebenden Christen hier und die islamistischen Fanatiker dort zu zeigen. Zumal es auch die anderen Muslime im Film gibt: diejenigen, die aus den umliegenden Dörfern ins Kloster kommen, wenn sie krank sind. Sogar Liebesbeschwerden können hier gelindert werden. Und wenn ein Antrag an die Behörden zu schreiben ist – die Trappisten wissen, wie man das macht. Die Mönche und die Menschen von Tibhirine sind Nachbarn, ja, mehr noch: sie seien, überlegt ein Dorfbewohner, wie die Vögel und der Baum. Wobei das Kloster der Baum sei. Die Mönche werden in die Familien und zu den Festen der muslimischen Dorfbewohner eingeladen. Sie verkehren mit dem Herrn so selbstverständlich und zugleich so beiläufig wie die meisten Menschen zu allen Zeiten: Gott ist wohlintegriert in den Alltag, er fällt da gar nicht weiter auf, aber er hat keinen Grund, sich zu beschweren.

„Die Welt wird verrückt“, sagt Samira, eine 18-Jährige, als der Wahnsinn näher kommt. Zuerst sterben 14 kroatische Bauarbeiter; an einem Weihnachtsabend stehen Ali Fayattia (Farid Larbi) und seine religiösen Rebellen vor der Tür des Klosters. Was für eine Begegnung zweier Selbstgewissheiten: Da ist die zornige des Rebellenführers, in der die Kraft der Jugend, die Religion, die Wut und die eigene Ohnmacht eine böse Allianz eingehen – und die des Abtes, dessen Entschiedenheit die Angst kaum verbergen kann und doch umso stärker wirkt, weil sie die Konsequenz eines ganzen Lebens ist. Nein, er wird ihnen keine Medikamente geben, aber jeder soll behandelt werden, der ins Kloster gebracht wird.

Was ist Freiheit in der globalisierten, unendlich mobilen Welt? Der Westen glaubt, es ist vor allem die Freiheit, zur Wahl zu gehen. Am 26. Dezember 1991 gewann die radikale Islamische Heilspartei (FIS) in der ersten Runde die algerischen Parlamentswahlen. Am 11. Januar wurde das Parlament aufgelöst und der Ausnahmezustand ausgerufen. Wovor hat man solche Angst? Welche künftigen Siege wohnen im Verbotenen? Alle diese Fragen und die fehlgeleitete Unbedingtheit der Jugend stehen in den Augen des jungen Mannes, und doch bleiben er und die Fundamentalisten zuletzt nur Hintergrund. Der wahre Konflikt spielt innen: Es geht um das Seelenschicksal einer Gruppe von Menschen, die wählt, keine Wahl zu haben. Es ist die Geschichte einer Angst, es ist das Drama der menschlichen Freiheit.

Und es kann nicht falsch sein, sich an das zu erinnern, was das Religionsdenken des 19. Jahrhunderts so ruhig und so genau wusste: Dass es nie eigentlich um die Religion geht, wenn es nur noch um die Religion zu gehen scheint.

Cinemaxx, Delphi, FT Friedrichshain, International, Kulturbrauerei und Yorck; OmU: Cinema Paris, englisch untertitelte Originalversion: Cinestar Sony-Center

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