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Tempelbesuch. Szene aus dem koreanischen Film „Winter’s Night“ (2018) vonJang Woo-jin.

© Arsenal – Institut für Film und Videokunst

Filmreihe „Jeonju Digital Project“: Teaser für das Kino der Zukunft

Im kurzlebigen Jeonju Digital Project kultivierten namhafte Filmemacher und Filmemacherinnen aus Asien, Europa und Afrika das Format des mittellangen Films. Jetzt zeigt das Kino eine Auswahl der Arbeiten.

Blick aus einem Flugzeugfenster: Unten schlängelt sich ein Fluss zwischen zwei bewaldeten Ufern hindurch. An dem einen Ufer liegt Französisch-Guayana, auf der anderen Surinam. In „Aller au diable“ von 2011 dokumentiert die französische Regisseurin Claire Denis eine Recherchereise, die sie gemeinsam mit dem Schauspieler Jean-Christophe Folly unternimmt. Gemeinsam fahren die beiden später den Grenzfluss, den Maroni, hinunter und versuchen, sich einen Eindruck von einem Gold- und Drogenhändler zu verschaffen, der in einem Haus am Ufer des Flusses lebt.

Filmexperimente aus aller Welt

Der Film hat neben den englischen Untertiteln am rechten Bildrand zusätzlich noch koreanische Titel. Kein Zufall, entstand der Film doch im Rahmen einer Produktionsinitiative, die das Jeonju International Film Festival in Südkorea seit seiner Gründung im Jahr 2000 begleitet. Von Donnerstag an öffnet das Kino Arsenal das Füllhorn dieser Produktionen und lässt die ersten zehn Jahrgänge Revue passieren. Ergänzt wird das Programm um Jang Woo-jins „Gyeo-wul-ba-me“ („Winter’s Night“) von 2018, der ein Ehepaar mittleren Alters beim Besuch eines Tempels begleitet.

Das Jeonju International Film Festival griff den Anfang der 2000er Jahre neuen Trend zu digitaler Aufnahmetechnik auf, so entstanden bis 2014 im Jeonju Digital Project jedes Jahr drei mittellange Filme. Im Selbstverständnis des Projektes sollten diese Filme „Teaser für die Filme der Zukunft“ sein. Realisiert wurden die Filme von Regisseur:innen aus aller Welt, viele aus Asien, aber auch aus Europa und Nordamerika.

2007 realisiert Harun Farocki im Rahmen des Projektes „Aufschub“, eine Forschung zu dem Filmmaterial, das der Häftling Rudolf Breslauer im niederländischen Durchgangslager Westerbork drehte und aus dem einige ikonische Momente einer Kinematographie des deutschen Mordens bis 1945 stammen. 2014 fand eine Neuausrichtung statt, die sich in einer Umbenennung niederschlug. Das Jeonju Cinema Project produziert seither jedes Jahr drei bis fünf Langfilme.

Erkundungen einer versehrten Stadt: „A Letter from Hiroshima“ des japanischen Regisseurs Nobuhiro Suwa.

© Arsenal – Institut für Film und Videokunst

Nach einer Zufallsbegegnung bei einem Schweizer Filmfestival bat der japanische Regisseur Nobuhiro Suwa die koreanische Schauspielerin Kim Ho-jung, ihn in Hiroshima zu treffen. Doch tagelang fehlte jede Spur des Regisseurs, per Nachricht bat er die Schauspielerin schließlich, allein die Stadt zu erkunden. „A Letter from Hiroshima“ nimmt einen Brief des Experimentalfilmers Robert Kramer zum Ausgangspunkt. Kramers Vater war 1945 kurz nach dem Abwurf der Atombombe auf die Stadt vor Ort. Er kehrte verändert zurück, sprach aber nicht über das Erlebnis.

In Suwas Film kreuzen sich Blicke: der des Sohnes eines amerikanischen Arztes, der eines japanischen Filmemachers und der einer Schauspielerin aus einem Land, über das der faschistische Imperialismus Japans im Pazifikkrieg unfassbares Leid gebracht hat. Der Film entstand 2001, ein Jahr nachdem Suwa mit seinem Langfilm „H-Story“, der Alain Resnais’ Verfilmung von „Hiroshima mon amour“ zum Ausgangspunkt einer Dokufiktion nimmt, auf dem Filmfestival in Cannes vertreten war.

Die Freiheit des digitalen Filmens

2001 dokumentierte der chinesische Regisseur Jia Zhang-ke in „In Public“ Alltagsszenen aus Datong: Menschen sitzen im Wartesaal des Bahnhofs, Busse passieren die Hauptstraße der ehemaligen Kohlebergbaustadt. „In Public“ ist Jias erster Film aus Datong, ein Jahr später entsteht dort „Unknown Pleasures“ über drei junge Menschen, die versuchen, sich ein Leben aufzubauen; mit „Asche ist reines Weiß“ endete der Zyklus. In den Spielfilmen hallen Momente aus „In Public“ wieder. In Jias Aufnahmen klingt jene Atmosphäre aus Trostlosigkeit, ruppigem Charme und Unerschütterlichkeit an, die sich in seinen späteren Filmen entfalten sollte.

So unterschiedlich die Filme des Jeonju Digital Project sind, so sehr zeugen sie gerade in der Zusammenschau und mit Blick von heute von der Freiheit, die die digitalen Möglichkeiten dem Film um die Jahrtausendwende bescherten. Die Reihe des Arsenals macht das Jeonju Digital Project als Netzwerk sichtbar, das die Filme untereinander, mit der Zeit ihrer Entstehung und mit dem Werk ihrer Filmemacher:innen verwebt.

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