Folge 186 „Wochniks Wochenende“: Die Ordnung der Dohlen
Die Abwesenheit von Dingen ist eine abstrakte Angelegenheit. Darum muss man sie inszenieren. Wie der Klangkünstler Budhaditya Chattopadhyay.
Wer in diesen Tagen genug hat von Stars und Sternchen, roten Teppichen, Flimmerbild, Bewegtbild, ja, Bild überhaupt, kann natürlich einfach etwas anderes tun, als ins Kino zu gehen. Eis essen, zum Beispiel. Oder im Tegeler Forst nach der Dohle Ausschau halten, womit man eigentlich schon das ganze Wochenende gefüllt hätte. Der kleine Krähenvogel ist in unseren Weiten mittlerweile so selten, dass man höchstwahrscheinlich keinem begegnet. Nicht an diesem Wochenende, und auch nicht in der sich anschließenden Woche.
Vielleicht empföhle es sich, statt selbst in Berlin und Umgebung nach der Dohle Ausschau zu halten, mit Ludwig Kaltenburg auf die Vögel zu warten. „Besuchern gegenüber äußert er sich noch in seinem letzten Winter zuversichtlich, eines Tages werde ein Paar dieser von ihm geliebten, von ihm bewunderten weißäugigen Krähenvögel den Kamin im Arbeitszimmer als Nistplatz wählen und mit seiner Brut eine neue Dohlenkolonie ins Leben rufen.“ So der Anfang von Marcel Beyers Roman, „Kaltenburg“, in dem eben der wartende Ludwig Kaltenburg Protagonist ist – und Ornithologe.
Und das ist gut für unser Interesse an der Dohle, denn über die – und nicht nur die – erfahren wir in diesem Buch eine ganze Menge. Nur, ob wir so wirklich dem Bild entkommen? Ist das Kopfkino nicht auch ein Kino, der Film, der beim Lesen vor dem inneren Auge abläuft, nicht auch ein Film? Überhaupt ist die ganze Idee von Abwesenheit einer Sache – oder eines Menschen – eine höchst abstrakte. Um eine Absenz spürbar zu machen, muss man sie inszenieren. Die Abwesenheit der Dohle etwa, indem man vergeblich auf sie wartet. Die eines Menschen, indem man ein Fest zu seinen Ehren feiert, zu dem dieser Mensch nicht erscheint.
Und die des Bildes, zum Beispiel, indem man eine leere Leinwand in einen vergoldeten Rahmen fasst, sodass der Bildcharakter wirklich zum Tragen kommt. Eben so inszeniert der Künstler Budhaditya Chattopadhyay die Bilder in seiner Installation „Co-sounding: Towards a Sonorous Land“ in der Galerie Errant Sound (Rungestraße 20, 16 – 20 Uhr). Was man nicht sieht, aber hört: Hinter den ungemalten Gemälden befinden sich Lautsprecher – mit akustischen Aufnahmen von Landschaften aus der Kolonialgeschichte. Dass schon der Blick, der die Landschaft seinem ästhetischen Urteil unterwirft, ein Ausgangspunkt kolonialistischen Denkens sein kann, will der Künstler unterstreichen. Auf jeden Fall flimmert hier wirklich kein Bild. Und wer weiß, womöglich hört man in der ein oder anderen Landschaft sogar eine Dohle.
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