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Blutig verwandt. Ex-Geheimdienstler Arquímedes Puccio (Guillermo Francella) und sein Sohn Alejandro (Peter Lanzani).

©  Prokino

"El Clan" von Pablo Trapero: Folteropfer im Badezimmer

Nach außen erscheinen die Puccios als brave Bürger. In Wahrheit bereichern sie sich an Opfern der Militärdiktatur. Ein Film erzählt nun die Geschichte der argentinischen Familie.

Unter den Militärdiktaturen der siebziger und achtziger Jahre zeichnete sich die argentinische durch besondere Skrupellosigkeit aus. Verschleppung, Folter und Mord waren alltäglich, über 30.000 solcherart Verschwundene sind es nach heutigen Schätzungen. Nach dem Sturz des Regimes wurden mit Jorge Videla und Emilio Massera 1985 zwei Hauptverantwortliche zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Im selben Jahr machte auch ein anderer Prozess in Argentinien Wirbel. Der ging gegen Arquímedes Puccio und seinen Sohn Alejandro, die mit großer Familie als scheinbar brave Bürger ein Haus in einem besseren Vorort von Buenos Aires bewohnten. Alejandro war sogar Star der Rugby-Nationalmannschaft. Doch der biedere Eindruck trog: Tatsächlich rührten die größten Teile des Familieneinkommens aus brutalster Entführung. Und während im Esszimmer das Tischgebet gesprochen wurde, ging ein Extra-Teller von Mamas Essen an einen jungen Mann, der blutverschmiert und stöhnend an die Badewanne gekettet war.

So erzählt es jedenfalls „El Clan“ von Regisseur Pablo Trapero. Er zeigt, wie sich Arquímedes in den Krisenjahren 1982 bis 1985 – mit ein bisschen Hilfe einiger Kumpane und zweien seiner Söhne – vom Militärapparat praktizierte Unterdrückungsmethoden zum eigenen Vorteil aneignete. Dabei profitiert der Pensionär von seinen Erfahrungen als Geheimdienstler ebenso wie von der Deckung durch Ex-Kollegen im Apparat.

Am erzielten Wohlstand gewinnen alle in der Familie. Als Alejandro die wahre Brutalität des Geschäfts zu ahnen beginnt, beschwichtigt der Vater die Sohneszweifel nicht nur mit flauen Ausreden und Drohungen, sondern auch mit einem Bündel Geldnoten, das zur Eröffnung einer Sportboutique reicht. Bald aber gerät Arquimedes in den Abstiegssog des Regimes, das nach dem verlorenen Falkland-Krieg 1983 abtreten muss. Nur hält er sich trotz deutlicher Warnungen noch immer für unangreifbar – Spätfolge der langjährigen Gewöhnung an autoritäre Eigenmächtigkeit.

In Argentinien war der Film ein Überraschungserfolg

Pablo Trapero („Elefante blanco“, 2010) inszeniert seinen in den Fakten gründlich recherchierten Plot um das brüchiger werdende Vater-Sohn-Gefüge als opulenten melodramatischen Thriller mit vielen Zeit- und Ortssprüngen. Dabei setzt er vornehmlich auf den Kontrast zwischen scheinbar heilem Familienleben und Verbrechen. Leider gipfelt dies einmal in einer abgeschmackten Parallelmontage zwischen dem lautstarken Höhepunkt eines Sexualakts und dem Schmerzstöhnen eines der Opfer.

Ähnlich kontrastreich, aber subtiler gerät der Einsatz von Musik, der das basswummernde Geräuschinferno einer Verhaftungsszene in den „Lazy Sunny Afternoon“ der Kinks übergehen lässt oder ein Kidnapping mit „Just A Gigolo“ begleitet. Auch besetzt ist der Film gegen den Strich und lässt den argentinischen Komikstar Guillermo Francella mit eingefrorener Motorik und ungerührtem Blick den Bösewicht der Hauptrolle geben. Mit Peter Lanzani spielt ein populärer TV-Serienliebling des Landes in seiner ersten internationalen Rolle den mit beeindruckender Locken- und Backenbart-Pracht ausgestatteten Sportlersohn. Paul Breitner grüßt.

In Argentinien wurde „El Clan“ mit über 2,6 Millionen Zuschauern ein enormer Überraschungserfolg – vielleicht weil er sich als kathartische Parabel auf die argentinische Geschichte lesen lässt. Bei uns dürften, trotz der zur historischen Illustration eingestreuten Nachrichtenschnipsel, viele Zuschauer beim Hintergrundwissen schwächeln. Doch die von den Brüdern Almodóvar mitproduzierte und in Venedig im Herbst mit dem Regiepreis prämierte Arbeit geht weit über die spektakulären Verbrechen einzelner hinaus und spiegelt in Papa Arquímedes’ kleinem Reich anschaulich die Mechanismen von Autorität, Anpassung, Opportunismus und Ausbruch.

Die Hilfssheriff-Dienste von Mutter Epifanía (Lili Popovich) gehören da ausdrücklich dazu. Leider geraten die beiden Töchter der Familie weitgehend aus dem Blickwinkel. Immerhin ein verräterischer markanter – und belegter – Satz der mittlerweile an Krebs verstorbenen Tochter Silvia bleibt: „Papa hat das alles nur für uns getan.“

Cinemaxx, FaF, Kant; OmU: Babylon Kreuzberg, Hack. Höfe, Kulturbrauerei

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