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Kultur: Formvollendet

Bernard Haitink dirigiert die Philharmoniker.

Man muss sich das vorstellen: 1964 hat Bernard Haitink die Berliner Philharmoniker zum ersten Mal dirigiert, fast 50 Jahre ist das her, im heutigen, enorm verjüngten Orchester dürfte niemand mehr von damals dabei sein. Und doch spürt man die lange, erfahrungsgesättigte Zeit, denn Musiker und Dirigent agieren in einem geradezu traumwandlerischen Einverständnis. Haitink genügt ein kaum wahrnehmbares Öffnen und Schließen der Hand, um die Celli zum Zupfen zu bringen, ein entschlossenes Zittern der Finger, um die Dynamik zu steigern, eine geöffnete Handfläche, um eine neue Phrase einzuleiten. Welch elegante, fließende, formvollendete Gestik des inzwischen 83-Jährigen!

Trotzdem: Nicht immer kommt diese Gestik auch an. Das Siegfried-Idyll verhuschen die Streicher, anders als die wunderbar plastischen Bläser. Das Stück gehört zu den wenigen Orchesterwerken Wagners, die nicht einfach ein überarbeiteter Auszug aus einer der Opern sind – wiewohl natürlich auch das Siegfried-Idyll auf Motiven aus „Siegfried“ basiert, vor allem auf den lyrischen, die häufiger wiederholt werden, als es dem Stück gut tut. Spielt man das nicht mit der richtigen Morgensonne im Herzen, kann es schnell fad werden. Cosima dürfte das 1870 völlig anders empfunden haben, als ihr Gatte ihr diese Klänge zum Geburtstag schenkte.

Einige Jahre früher – andere Frau. Auch Mathilde Wesendonck erhielt von Wagner ein tönendes Geburtstagsgeschenk: die fünf Wesendonck-Lieder. Das Kunstlied war bei Schubert und Schumann die intimste Gattung, die sich denken lässt. Auch Wagner hat diese Lieder ursprünglich für eine Gesangsstimme mit Klavier geschrieben, aber bereits eines („Träume“) orchestriert, Felix Mottl besorgte später den Rest – der Weg des Lieds zur massiven Orchesterbegleitung war beschritten. Ein kleines Wunder, wie es die Japanerin Mihoko Fujimura trotzdem schafft, auf den Klangwogen zu reiten. Ihr weißschäumende Höhe geht osmotische Verbindungen ein mit dem silbrigen Strich der Philharmoniker. Einiges schreit sie unschön heraus, vor allem im vierten Lied. Aber wie es dieser zarten Sängerin gelingt, vor der Klangkulisse des Riesenorchesters so etwas wie liedhafte Intimität (wieder-)herzustellen, ist berührend.

Dann Beethovens „Eroica“ – die Folie, vor der Wagners schwebende, haltlose Tonalität der tristanesken Wesendonck-Liedern erst in ihrer ganzen grundstürzenden Neuartigkeit sichtbar wird. Ein Revolutionär war natürlich auch Beethoven, gerade mit seiner Dritten. Unter Haitinks Händen wird daraus eine poetische Interpretation, die mit den Gegensätzen von Stauen und Loslassen spielt, dabei weniger drängend als vielmehr sich selbst beobachtend, manches bis ins Letzte ausbuchstabierend und dann auch pedantisch, aber mit herrlich langen dynamischen Bögen, nicht unbedingt revolutionär, mehr klassisch-strahlend, ohne dabei auch nur im Geringsten altmeisterlich zu sein. Udo Badelt

noch einmal Sonntag, 20 Uhr

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