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Kalush Orchestra im Hole 44.

© Nadine Lange

Fremde Singsprachen: Vom Glück des Nichtverstehens

Musik kann beim Sprachenlernen helfen, doch ihre Magie entfaltet sie oft auch, wenn die Zuhörenden kein Wort verstehen. Ein persönlicher Blick auf das Phänomen.

Eine Kolumne von Nadine Lange

Beim Englisch-Lernen haben mir Bands wie U2, Big Country und Midnight Oil geholfen. Ja, mein Musikgeschmack war in der siebten, achten Klasse (meine erste Fremdsprache war Latein) etwas rockistisch und blieb es dank Grunge auch noch eine Weile. Aber für den Spracherwerb und die Bildung war es eine gute Sache, dass ich wissen wollte, was es mit U2s „Bloody Sunday“ oder den brennenden Betten von Midnight Oil auf sich hatte.

Später brachten mir Bands und Musiker*innen aus den jugoslawischen Nachfolgestaaten durch ihre Songtexte ihre Sprachen nahe. Es freut mich, wenn ich etwa bei den von Amira Medunjanin oder Damir Imamović interpretierten Sevdalinka nicht nur über die melancholischen Melodien erfasse, dass es darin häufig um Liebesleid geht. Umgekehrt wurmt es mich immer ein wenig, wenn ich die Singsprache nicht beherrsche.

Aber am Ende siegt immer die Neugier – wie viel tolle Musik würde ich verpassen! Zum Beispiel den psychedelischen Rock von Altin Gün, einer niederländischen Band mit türkischen Texten oder die sehnsuchtsvollen Lieder von Liraz, die Farsi mit hebräischem Akzent singt. Mir ist völlig egal, dass ich nichts verstehe, weil ihre Stimme mich so berührt.

Mit ukrainischer Musik beschäftige ich mich traurigerweise erst, seit das Land den russischen Angriff auf sein gesamtes Territorium ertragen muss. So habe mich sehr über den verdienten ESC-Sieg von Kalush Orchestra im vergangenen Jahr gefreut und war begeistert, sie kürzlich live zu sehen. Außer mir war vielleicht noch ein Dutzend Deutsche im Saal, der Rest waren äußerst textsichere Ukrainer*innen. Mitzuerleben, wie sie von der Musik und der energetischen Show der Band bestärkt wurden, war beglückend.

Am Samstag wird es mir im Waschhaus Potsdam ähnlich gehen, wenn ich Serhij Zhadan und Yuriy Gurzhy bei der Aufführung ihrer „Fokstroty“ zuhöre. Dank GurzhysTagesspiegel-Kolumne weiß ich immerhin, dass die mal elektronisch-pluckerigen, mal funkigen und mal dubbigen Popsongs größtenteils auf den Texten von ukrainischen Autor*innen der zwanziger und dreißiger Jahre basieren, die zur so genannten Hingerichteten Renaissance zählten. Zhadan und Gurzhys haben sie in ihrer Heimatstadt Charkiw aufgenommen – in Potsdam werden sie sicher Ukrainer*innen und Deutsche gleichermaßen bewegen.

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