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Kultur: Freud kennen wir

Guy Joosten inszeniert Carl Maria von Webers „Freischütz

Völlig verstört drängen sich die Brautjungfern an die Wand. Was sollen sie denn nun tun? Agathe hat sie gerade abgekanzelt, als sie die Braut zur Hochzeit fein machen wollten. Und nun werden sie von Ännchen angeherrscht, endlich weiterzusingen. Als dann auch noch die Totenkrone statt des Brautkranzes aus dem Karton gezogen wird, ist die Stimmung vollends auf dem Tiefpunkt, Agathe weint nur noch still vor sich hin.

Im kleinen grünen Mädchenzimmer spielt sich die ergreifende Szene ab. Diese wenigen Quadratmeter bilden auch das Verließ für die Träume der Jungfrau, für ihre zarten Sehnsüchte, die jedoch von der allgegenwärtigen Gewalt grundiert werden. Allzu lange musste das Leipziger Publikum auf diese zart gearbeitete Szene warten. Bis ziemlich kurz vor dem Finale schleppt sich Guy Joostens Inszenierung von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ ziemlich matt über die Runden. Dabei stimmen die Grundkoordinaten von Guy Joostens Regiekonzept zweifellos: Wildsau, Reh und Hirsch sind längst erlegt und werden nun im Schlachthof aufgeteilt. Die Bauern arbeiten inzwischen als Metzger und hänseln den glücklosen Max mit blutverschmierten Fleischermessern. Im klaustrophobischen Bühnenbild von Johannes Leiacker ist kein Platz für Waldromantik, hier gibt es kaum noch Jägerfolklore. Und dass es in der deutschen Nationaloper bei jedem Schuss auch um Sex geht, liegt ohnehin auf der Hand.

Niemand muss Sigmund Freud gelesen haben, um die Bedeutung des „Leid oder Wonne, beides liegt in deinem Rohr" zu verstehen. Das filigrane Sozialgefüge bleibt in Joostens Inszenierung erhalten. Wild zu erlegen ist ein Privileg der herrschenden Klasse, egal ob es sich um Tiere handelt oder um Frauen. Max wird so drastisch bedroht und verhöhnt, weil er bisher auf beiden Feldern versagte. Kein Wunder, dass der Jägerbursche sich zu der attraktiven Dame hingezogen fühlt, die sich als einzige für ihn interessiert. Vielleicht kann er ja von ihr noch etwas lernen, in jeder Beziehung. Mit ihr tanzt er den Bauernwalzer, und es ist für den Zuschauer kaum eine Überraschung, dass sie sich zum einen als Samiel erweist (überzeugend gespielt von Ines Agnes Krautwurst) und zum anderen als Puffmutter des Etablissements "Zur fidelen Wolfsschlucht“, in dem die besten Kreise verkehren. Sechs der sieben Freikugeln erhält er Max von den hier arbeitenden Lustdienerinnen. Die verhängnisvollen letzte überreicht die Chefin selber, inklusive Nachhilfestunde in anderen Techniken. Doch dieser Besuch im Provinzbordell fällt derart langweilig aus, dass hinterher weder applaudiert noch protestiert wird. Absolute Ruhe im Leipziger Opernhaus. War da was?

An dieser Schlüsselstelle der Oper versagt Joosten kläglich, in der Mitte des Stücks waltet Leere. Zum Finale fällt ihm dann doch noch etwas ein. Der allzu penetrant und onkelhaft mahnende Eremit wird kurzerhand vom Schützenkönig über den Haufen geballert, damit die bürgerliche Doppelmoral ungestört triumphiere. Max erschießt ganz bewusst den bösen Kaspar, den Liebhaber der Bordellbesitzerin, um dessen Stelle einzunehmen. Alle Überlebenden stimmen in den Schlussjubel ein, und Max verschwindet mit Samiel an einen Ort, an dem er hoffentlich mehr Spaß haben wird.

Hier gewinnt der Abend endlich jene kaltschnäuzige Brutalität, die man schon vorher vom neuen Leipziger Hausregisseur Guy Joosten erhoffte. Musikalisch gibt es an dieser Aufführung hingegen wenig zu bemängeln. Allenfalls die Agathe von Majken Bjerno hat gelegentlich mit stimmlichen Schärfen und einem störendem Vibrato zu kämpfen, doch auch ihr gelingen starke Momente. Der amerikanische Tenor Robert Chafin überzeugt hingegen mit glanzvoller Höhe und sicherer Mittellage als getriebener Max zwischen Angst und Hoffnung. Ainhoa Garmendia als Ännchen und der Kaspar des Urban Malmberg halten dieses sängerische Niveau scheinbar mühelos und spielen dabei ebenfalls überzeugend.

Vor allem lässt der kurzfristig eingesprungene Dirigent Stefan Anton Reck mit dem exzellenten Chor und dem relativ klein besetzten Gewandhausorchester den warmen, romantischen Weber-Klang strömen und aufrauschen. Die fahlen und verstörenden Klänge des Unheimlichen gehen genauso unter die Haut wie der ungehemmte Jubel. Gewiss, das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn wenn die sächsischen Orchester ihren Weber nicht mehr spielen könnten, wer sollte dann überhaupt noch dazu in der Lage sein? Aber wenn sie es bis in die Instrumentalsoli hinein so berückend schön machen wie das Leipziger Solocello, die Soloflöte oder die Klarinette, dann gebührt den Musikern auch ein Extralob.

Weitere Aufführungen am 23. Mai sowie am 1., 12., 15., 20. und 22. Juni.

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