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Kultur: Ganz in Weiß

Rückblende: Wie Filbinger sich auf NS-Gegner berief

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger ist ein gelehriger Schüler von Hans Filbinger. Seine Rede bei der Trauerfeier für den früheren Landesherrn, in der er den an Todesurteilen gegen Deserteure beteiligten NS-Marinerichter zum „Gegner der Nazis“ adelte, korrespondiert mit dessen Selbsteinschätzung. Filbinger hatte, als er 1978 von seinem Amt zurücktreten musste, nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft. 1979 gründete er im Hohenlohischen das Studienzentrum Weikersheim, eine „geistig-politische Initiative“, wie es hieß, „die unseren Staat befähigen will, den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen“. Man wollte über Ideologie- und Parteigrenzen hinweg an diesem Ziel arbeiten und lud Jahr um Jahr zu Tagungen in das bezaubernde Renaissance-Schloss in Weikersheim.

Neben konservativer Prominenz wie Wolfgang Schäuble, Golo Mann oder Elisabeth Noelle-Neumann, CDU-Landespolitikern und Wirtschaftsgrößen tauchten immer wieder neurechte Referenten wie Michael Walker oder Karlheinz Weißmann auf, um angegrauten Herren und gescheitelten Burschenschaftern ins nationale Gewissen zu reden. Mit den Hochschullehrern Günter Rohrmoser, Klaus Hornung und Lothar Bossle hatte das Studienzentrum einige deutliche Rechtsausleger im Vorstand. Einige Referenten veröffentlichten ihre Thesen in teils vom Verfassungsschutz beobachteten Blättern; sie sollten dem etwas blass gewordenen Konservatismus frisches Blut zuführen.

In diesem Milieu konnte Filbinger in den achtziger und neunziger Jahren, als das Zentrum noch eine gewisse Attraktivität für die von der „hegemoniellen Linken“ verschreckte Klientel hatte, seine Vorstellungen zur moralischen Gesundung der Republik ausbreiten. Beliebt war das Wettern gegen die 68er. Lautstark forderte Filbinger die „Abkehr von den Irrlehren der sogenannten Selbstverwirklichung“. „Staatsgesinnung“ sei gefragt, „geistige Führung“, eine „geistige Leistungselite“. So viel (deutscher) Geist wie in Weikersheim war selten, und nicht nur die Wirtschaft unterstützte das gerne, auch aus der Landeskasse flossen Gelder. Bei seiner Eröffnungsrede auf der „5. Hochschulwoche“ 1996 erklärte Filbinger, welche Vorbilder man zur Überwindung der „krisenhaften“ Zeit und „geistigen Trägheit“ brauche: „Sophie und Hans Scholl, von Stauffenberg und Dietrich Bonhoeffer“. In dieser Tradition wollte er sich sehen. Die Umdeutung der eigenen Geschichte in die des Widerstandskämpfers bei gleichzeitiger Goutierung neurechten Denkens hatte damals schon etwas Perfides. Und nun strickt die CDU-Enkelgeneration, vertreten durch Ministerpräsident Oettinger, diese Legende fort.

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