zum Hauptinhalt
Ein Monarch der Superlative. Über vier Jahrzehnte lang regierte Karl sein Frankenreich. Eine Statue vor dem Aachener Rathaus erinnert an den großen König.

© Andreas Herrmann

Gedenkausstellung zu Karl dem Großen: Der erste Europäer

Identitätsstifter oder grausamer Krieger? Heiliger oder Barbar? Der mächtigste Herrscher des Mittelalters gibt Historikern bis heute Rätsel auf.

Geschichte, oder was man als Kind dafür hält, sog unsere Generation aus abgegriffenen Zigarettenbilderalben ein. Die so farbenfrohen wie ereignisprallen „Bilder deutscher Geschichte“ von 1936 beginnen mit dem Sturz der Irminsul durch Karl den Großen und enden unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Aus der Sicht damaliger nationalistischer Geschichtsverfälscher begann mit dem Frankenkaiser vor 1200 Jahren der Siegeszug des (Groß-)Deutschen Reichs, das nach dem verlorenen Weltkrieg auf die wehrhaften Helden von einst starrte. Heute sieht man in Carolus Magnus einen der ersten Europäer. Der seit 1950 vergebene Internationale Karlspreis zu Aachen steht wie keine andere Auszeichnung für ein Europa, das auf gemeinsame kulturelle und mentalitätsgeschichtliche Wurzeln setzt. Ein Monarch als Identitätsangebot.

Was lässt sich in Erfahrung bringen über einen Menschen, der vor 1200 Jahren starb und von dem man nicht einmal genau weiß, wie er ausgesehen hat? Die in diesem Jubiläumsjahr – Karl starb am 28. Januar 814 in Aachen – erschienenen Biografien bewältigen die heikle Quellenlage auf ihre Art: Horst Bredekamp, der Berliner Kunsthistoriker, deutet Karls Schwimmleidenschaft als Bild und Symbol gewordene Körperpolitik. Der Frankfurter Historiker Johannes Fried kompensiert die fehlenden Selbstzeugnisse des Monarchen mit prallen Schilderungen aus dem Leben seiner Untertanen. Wenn man sich jedoch an die Fakten zur Person hält, bleibt dieser Mann – wie alle Herrscher des Frühmittelalters – eine gekrönte Chimäre. Oder eben die ideale Projektionsfläche, zu der ihn spätere Generationen machten.

Eine echte Herausforderung also für die Kuratoren der zentralen Gedenkausstellung „Karl der Große. Macht Kunst Schätze“, die am 19. Juni in – wo sonst? – Karls Lieblings- und Sterbeort Aachen eröffnet wird. Wenn auch Dutzende Male über- und umgebaut: Das Terrain der ehemaligen Kaiserpfalz mit dem später in den Aachener Dom integrierten Oktogon von Karls Pfalzkapelle war symbolisches und reales Zentrum kaiserlicher Macht – und blieb bis ins 16. Jahrhundert der Krönungsort deutscher Kaiser. Eine Art Rom nördlich der Alpen, für das Karl antike Marmorbauteile aus Rom und Ravenna herbeischaffen ließ.

Seinen Herrschaftsraum hat Karl durch militärische Gewalt erweitert

Rom, die Stadt christlicher Päpste und des Römischen Weltreichs, wurde zu seinem machtpolitischen Bezugspunkt. Am Weihnachtstag des Jahres 800 krönte ihn Papst Leo III. in Alt St. Peter zum Kaiser. Karl verstand sich als Haupt eines erneuerten Römischen Reichs und geriet damit sofort in diplomatische Konflikte mit den (oströmischen) Kaisern von Byzanz. Den Titel Kaiser der Römer wagte erst Otto III. zweihundert Jahre später offiziell zu führen. Allerdings erkannten schon die Zeitgenossen Karls umfassenden Anspruch. Pater Europae, Vater Europas, wurde er bereits zu Lebzeiten von Chronisten genannt. Das Europa von damals war freilich noch abstrakter als das heutige: kein staatsrechtliches Gebilde, sondern bestenfalls die räumliche Hülle einer universalen christlichen Herrschaftsidee.

Für diese Idee hat Karl der Große, der 1165 heiliggesprochen wurde, blutige Kriege geführt: 32 Jahre lang gegen die Sachsen, dezentral organisierte Stammesgruppen, die nicht nur unterworfen, sondern auch christianisiert werden sollten. Brutale Feldzüge auch gegen die Langobarden in Ober- und Mittelitalien, gegen die Awaren im heutigen Ungarn und Rumänien, gegen Bayern, Sorben, Slawen und – allerdings erfolglos – gegen das arabisch beherrschte Emirat von Córdoba.

Seinen Herrschaftsraum hat Karl in 46 Jahren Regentschaft durch militärische Gewalt erweitert. Zusammengehalten wurde das Riesenreich jedoch letztlich durch Religion, Bildung und Kultur. Vater Europas: Der Ehrentitel verdankt sich der vom Monarchen geforderten und aktiv geförderten Karolingischen Renaissance.

Bete und arbeite: Der Kaiser als Förderer der europäischen Kultur

Dass dieser umfassende Zivilisationsprozess viel mehr gewesen ist als eine karolingische Bildungsreform, von der Historiker inzwischen gern sprechen, zeigt schon sein Themenreichtum. Von Obstbaum- und Rosenzucht bis zur Vereinheitlichung von Recht, Verwaltung, Sprache und Schrift – die Kleinbuchstaben der karolingischen Minuskel sind die Urahnen unserer modernen Schrifttype Antiqua – reichen die Maßnahmenfelder, mit denen der wohl auch persönlich bildungshungrige Monarch und sein enges Umfeld Kulturgeschichte geschrieben haben.

Die von Karls Vertrautem Einhard geleitete Aachener Hofschule oder die nach der Benediktinerregel „ora et labora“ (deutsch: bete und arbeite) begründeten Klöster und Reichsabteien – auf der Reichenau, in St. Gallen, Fulda, Trier und andernorts – waren Keimzellen einer Bildungsmission, die dazu beitrug, dass aus (Mittel-)Europa ein wesentlich einheitlicherer Kulturraum wurde als aus anderen Weltregionen.

Nicht zuletzt Deutschland, Frankreich und Italien pflegen und durchleiden mit Karl dem Großen gemeinsame Erinnerungen: Rund um Rom legten Karls Eroberungen den Grundstein für den Kirchenstaat. Charlemagne, wie der Monarch in Frankreich heißt, wird dort ebenso in der Ahnenreihe französischer Könige gezählt wie bei uns als römisch-deutscher Kaiser. Corton Charlemagne heißt bis heute einer der besten Weinberge und teuersten Abfüllungen burgundischer Winzer. Nach Charlemagne war jedoch auch der Verband französischer Nazi-Kollaborateure benannt, der als Division der Waffen-SS bis zum bitteren Ende durchhielt. Es ist nur folgerichtig, dass die Aachener Jubiläumsausstellung unter der Schirmherrschaft der Staatspräsidenten François Hollande, Giorgio Napolitano und Joachim Gauck steht.

Wer nach Aachen kommt, wird keine einfachen Antworten finden, wie sie noch das Zigarettenbilderalbum von 1936 vorgaukelt. Stattdessen ein differenziertes Geschichtspanorama, das – da kann man sich dank internationaler Leihgaben sicher sein – farbig genug ist, um kleine und große Bewunderer Karls des Großen zu begeistern.

Unter dem Titel „Karl der Große. Macht Kunst Schätze“ finden in Aachen vom 20. Juni bis zum 21. September an drei verschiedenen Stationen Ausstellungen statt: „Orte der Macht“ im Krönungssaal des Rathauses, „Karls Kunst“ im neuen „Centre Charlemagne“ und „Verlorene Schätze“ in der Domschatzkammer.

Öffnungszeiten: So.–Mi.: 10–18 Uhr, Do.,Fr., Sa.: 10–21 Uhr

Öffentliche Führungen täglich 11.15, 15.15 Uhr; Do., Fr., Sa.: 19.15 Uhr 2 Euro (zuzüglich Eintritt)

Reservierungen und Infos zu weiteren Führungen:
aachen tourist service e.v.
Telefon: 0241 180 29 60
oder E-Mail: tour@aachen- tourist.de

Eintrittspreise:
Einzelticket: 6 Euro, ermäßigt 4 Euro
Kombiticket: 14 Euro, ermäßigt 10 Euro
Kinder unter sechs Jahren haben freien Eintritt.
Mehr Infos im Internet unter: www.karldergrosse2014.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false